Mittwoch, 22. Februar 2012

Fumiaki Hoshino – Seit 38 Jahren unschuldig im Gefängnis?

„HOSHINO O KA‘ESE! OKINAWA NO KIJI O NAKUSE!“ Laute Rufe durchschallten am 5. Februar 2012 das Tokushima Gefängnis auf der japanischen Insel Shikoku. 600 Demonstranten waren aus ganz Japan angereist, hatten die Haftanstalt umrundet und forderten lautstark: „Freiheit für Hoshino! Weg mit den Militärbasen in Okinawa!“ Einer der Sprecher stellt fest: „Wie viele Arbeitsplätze wurden nach dem Großen Erdbeben und dem AKW-Unfall vernichtet, wie viele Kinder wurden verstrahlt? Nicht Hoshino, sondern die verdorbene Oberschicht Japans und die Politiker gehören hinter Gitter!“ Der 66 jährige Fumiaki Hoshino sitzt seit 38 Jahren im Gefängnis, seit 1987 in Tokushima. Verurteilt wurde er wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten bei einer Demonstration im Jahre 1971 gegen US-Militärbasen und Atomwaffen auf Okinawa. Er selbst beteuert seine Unschuld, und seine Unterstützer sind davon überzeugt, dass ihm als Sündenbock die Schuld in die Schuhe geschoben wurde.

US-Militärstützpunkte in Okinawa

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Japan von den USA besetzt, und erlangte 1952 nach dem Friedensvertrag von San Francisco seine Souveränität zurück. Neben einigen kleineren Inseln stellte die südlichste japanische Inselgruppe Okinawa eine Ausnahme dar, und stand weiterhin unter einer US-amerikanischen Militärregierung. Durch den forcierten Ausbau von Armeestützpunkten entwickelte sich Okinawa zum größten US-amerikanischen Truppenstandpunkt im Pazifikraum, welcher u.a. im Koreakrieg und im Vietnamkrieg eine zentrale Rolle spielte. Erst 1972 sollte Okinawa in den japanischen Staat wiedereingegliedert werden, was nicht zuletzt als Erfolg der andauernden Proteste der Zivilbevölkerung gegen die Militärregierung gewertet werden kann. Bedingung für die Rückführung war jedoch eine Zusicherung des Weiterbestehens der US-Militärstützpunkte sowie Zahlungen der japanischen Regierung für deren Unterhalt. Überdies wurden Geheimabsprachen über die Stationierung von Nuklearwaffen in Okinawa getroffen. Die Bevölkerung von Okinawa reagierte u.a. mit einem Generalstreik am 10. November 1971. Der Protest fand große Unterstützung in ganz Japan, in allen Teilen des Landes wurden Großdemonstrationen mit zehntausenden von Menschen organisiert. Im Vorfeld der Ratifizierung des Rückführungsvertrags von Okinawa erließ die japanische Regierung ein Versammlungs- und Demonstrationsverbot in Tokyo. Am 14. November kam es daraufhin zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Staatsgewalt, wobei eine Demonstrantin und ein Polizist getötet wurden.

Politischer Gefangener?

Als einer der Organisatoren dieser Demonstration wurde Fumiaki Hoshino für den Tod des Polizisten verantwortlich gemacht, 1975 festgenommen und 1983 schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Unterstützer vermuten hinter der Verurteilung einen politischen Hintergrund, und setzen sich seit nunmehr drei Jahrzehnten für seine Freilassung ein. Es gibt keine materiellen Beweismittel für den Mord, als Schuldbeweis gelten nur die Zeugenaussagen von sechs Demonstranten, die in abgeschlossenen Verhörräumen der Polizei aufgezeichnet wurden. Fünf dieser angeblichen Augenzeugen widerriefen später ihre Aussagen und gaben an, dass sie zu den Aussagen gezwungen wurden. Der sechste verweigerte bei der Gerichtsverhandlung seine Aussage. Hoshinos Anhänger gehen deshalb davon aus, dass Polizei und Staatsgewalt an Hoshino ein Exempel statuieren wollten, um die Bewegung gegen die US-Basen zu schwächen. 1996 wurde der erste Antrag zu Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, welcher abgelehnt wurde. 2009 wurde ein zweiter Antrag gestellt, diesmal mit vielversprechenden neuen Beweismitteln: Nach der Freigabe von Polizeiarchiven tauchten neue Fotos auf, welche die Unschuld Hoshinos eindeutig belegen sollen. Außerdem kann altes Beweismaterial durch neue elektronische Verfahren genauer analysiert werden. Mit den neuen Beweismitteln sind sich Hoshinos Anwälte sicher, dass er in zwei bis drei Jahren entlassen wird.

Der demonstrierende Student Fumiaki Hoshino

Die wachsende Bewegung „Free Hoshino!“

Seit seiner Festnahme ist der Kreis von Hoshinos Unterstützern ständig gewachsen. Dazu zählen unter anderen ehemalige Mitstreiter, Verwandte, Anwälte, politische Aktivisten, und seit der Katastrophe von Fukushima auch Atomkraftgegner. Einmal pro Jahr kommen Vertreter von Unterstützergruppen aus allen Teilen Japans in Tokyo zusammen, die letzte Versammlung im November 2011 war mit ca. 600 Teilnehmern die bisher größte. Neben zahlreichen Vertretern von Arbeitergewerkschaften waren auch mehrere Aktivisten der neuen japanischen Anti-Atomkraftbewegung anwesend, einige waren direkt aus Fukushima angereist. Was die Atomkraftgegner mit der Hoshino-Bewegung zu tun haben, formulierte Hoshino persönlich in einer Nachricht an die Konferenzteilnehmer: „Wie von bestimmten Tageszeitungen und Politikern inzwischen offen ausgesprochen wird, können mit AKWs und Plutonium unkompliziert Nuklearwaffen hergestellt werden. AKWs dienen somit der nuklearen Abschreckung. Um den eigenen Profit zu steigern, klammert sich das neoliberalistische System bis zum Äußersten an AKWs, beschäftigt irreguläre Arbeiter, und nimmt es in Kauf, dass die Bürger radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind. (…) Lasst uns solidarisch mit 99% der Menschen gemeinsam dieses kapitalistische System abschaffen, und eine humanistische Gesellschaft aufbauen.“ Für Hoshino symbolisieren AKWs das, wogegen er schon auf der Demo 1971 gekämpft hat: Atomwaffen, Militarisierung, Kumulation von Macht.

Hoshinos Anhänger beim Jahrestreffen in Tokyo, November 2011


Eine Flagge der „Free Hoshino“ Bewegung

Eine zentrale Rolle in der Bewegung spielt Akiko, die Ehefrau von Fumiaki Hoshino. Das erste Mal sahen sie sich auf einer Gerichtsverhandlung im Jahre 1986, und nach mehreren Gefängnisbesuchen heirateten die beiden. Neben der Freilassung setzt sich Akiko auch vehement für eine Verbesserung der Haftbedingungen ein, die von Willkür und teilweise unmenschlicher Behandlung gekennzeichnet sind. So werden ihre Briefe an den Ehemann teilweise geschwärzt, Besucher werden aus unverständlichen Gründen abgewiesen. Aus humanistischer Sicht sind die Zustände in Japans Gefängnissen aber nicht nur im Fall Hoshino „grausam, unmenschlich oder erniedrigend“, wie in einem Jahresbericht von Amnesty International angegeben wird. Dieser Bericht von 1998 geht auch konkret auf die Haftbedingungen Hoshinos ein. Durch internationale Zusammenarbeit von Arbeitergewerkschaften erfährt Hoshino in letzter Zeit auch in den USA Unterstützung. Gleichzeitig zum Jahrestreffen der Hoshino-Bewegung in Tokyo fand im November 2011 eine Protestaktion vor dem japanischen Konsulat in San Francisco statt, im Juli 2011 gab es eine Ausstellung von Bildern, die Hoshino im Gefängnis gemalt hat. Seine Frau bringt jährlich einen Kalender mit seinen Gemälden, meist Stillleben, heraus.

Hoshinos Frau Akiko spricht zu ihren Mitstreitern auf dem Jahrestreffen

Stillleben gemalt von Hoshino mit seiner Frau Akiko

US-Militär und Okinawa heute Auch nach fast einem halben Jahrhundert ist das Thema der US-Militärstützpunkte auf Okinawa noch genauso aktuell wie der Kampf um die Befreiung Hoshinos. Die Pazifik-Region ist militärstrategisch gekennzeichnet durch aufsteigende Rivalitäten zwischen den Supermächten China und den USA, und mit 25.000 Soldaten ist Okinawa noch immer der größte US-Armeestützpunkt im West-Pazifik. Durch zähen Widerstand hat die Bevölkerung von Okinawa erreicht, dass 8.000 Soldaten aus Okinawa abgezogen werden sollen. Es ist geplant, diese unter anderem in Guam zu stationieren, was als größter US-amerikanischer Stützpunkt der Region ausgebaut werden soll. Außerdem soll der US-Marineinfanterie-Luftwaffenstützpunkt Futenma verlegt werden, wodurch Okinawa viel Land zurückbekommen würde. Die japanische Zentralregierung und das Pentagon bevorzugen jedoch eine Verlegung von Futenma innerhalb Okinawas, konkret eine Integration in den bereits bestehenden Stützpunkt Camp Schwab in Henoko, wo eine neue Landebahn gebaut werden soll. Dies stößt auf massiven Widerstand der lokalen Bevölkerung und wird gegenwärtig heiß diskutiert. Wie seine zahlreichen Texten belegen, nimmt Fumiaki Hoshino aus der Gefangenschaft rege am gegenwärtigen politischen Geschehen teil, und wie es eine seiner Anhängerinnen ausdrückte: „Hoshinos Kampf im Gefängnis und unser Kampf für seine Freilassung gibt uns hier draußen Zusammenhalt und Motivation, uns weiterhin politisch zu engagieren.“ Umfangreiches Material der Hoshino-Bewegung auf Japanisch, teilweise mit Englischer Übersetzung, findet man auf diesen Internetseiten.
http://fhoshino.u.cnet-ta.ne.jp/

Von Sascha Klinger

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