Mittwoch, 22. Februar 2012

Eine kurze Geschichte von Doro-Chiba

Japanische Eisenbahn: Langer Kampf gegen Privatisierung

Nemetico

2011 besuchten drei japanischen Aktivisten der Eisenbahnergewerkschaft Doro-Chiba und des Studierendenverbands Zengakuren mehrere Städte in Deutschland und trafen u.a. mit der GDL zusammen. Seit 2009 haben deutsche Aktivisten Kontakt zu Doro-Chiba. Die Gewerkschaft verfügt seitdem über eine kleine deutschsprachige Abteilung seines «Internationalen Arbeitersolidaritätskomitees», das für den Aufbau internationaler Beziehungen verantwortlich ist.
Der vorliegende Text basiert im Wesentlichen auf Texten und Angaben dieses Komitees. Zum ersten Mal wird hiermit im deutschen Sprachraum die Geschichte von DC auf zusammenhängende Weise dargestellt.

Doro-Chiba (DC) ist eine kämpferische Eisenbahnergewerkschaft in Japan. Beheimatet ist sie in der Präfektur Chiba, ein wichtiges Ballungszentrum und ein Verkehrsknotenpunkt direkt östlich der Metropole Tokyo. Die weltweite Schaffung einer klassenorientierten Arbeiterbewegung ist ein wichtiges Anliegen dieses außergewöhnlichen Gewerkschaftsverbandes.
Die japanische Gewerkschaftsbewegung war schon vor dem Zweiten Weltkrieg mit heftigen Kämpfe konfrontiert gewesen. Doch in den 30er Jahren wurde sie von der damaligen kaiserlichen Regierung unterdrückt, zerschlagen und zur Kriegskollaboration gezwungen.

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dominierte zunächst der unter dem Einfluss der Kommunistischen Partei Japans (KPJ) stehende Gewerkschaftsverband Sanbetsu. Er wurde von den US-Besatzungsbehörden bekämpft, beugte sich aber auch dem Druck der neuen Herren (z.B. im gescheiterten Generalstreik vom Februar 1947).
1950 entstand unter US-Regie aus Sanbetsu und dem sozialdemokratischen Sodomei der Gewerkschaftsverband Sohyo, der sich jedoch wider Erwarten schnell radikalisierte. Sohyo war eine der Säulen des sogenannten «Systems von 1955». Dieses basierte auf der politischen Dominanz der konservativen Liberal-Demokratischen Partei (LDP) und der Hegemonie der (linkssozialdemokratischen) Sozialistischen Partei (SPJ) innerhalb der Arbeiterbewegung, die sich wiederum auf Sohyo stützte.

Im Zuge der neoliberalen Offensive in den 80er Jahren wurde Sohyo aufgelöst, was mit dem Zerfall der SPJ einher ging.
Derzeit ist die Situation so: Es gibt den 1989 gegründeten Gewerkschaftsverband Rengo (etwa mit dem DGB vergleichbar) mit rund 7 Millionen Mitgliedern, der im Wesentlichen die neoliberale Regierungspolitik unterstützt. Er steht unter dem Einfluss der derzeitigen Regierungspartei, der Demokratischen Partei Japans (DPJ).
Daneben gibt es den KPJ-nahen Verband Zenroren mit etwa 1,2 Millionen Mitgliedern sowie eine große Anzahl kleiner und mittlerer Gewerkschaftsverbände, die keinem dieser Großverbände angehören.
Zu den Besonderheiten der japanischen Gewerkschaftsbewegung gehört, dass es auf lokaler und regionaler Ebene viele sog. «amalgamierte Gewerkschaften» gibt, die branchenübergreifend sind. Es gibt auch sehr kleine und sogar kleinste Gewerkschaften (z.B. eine Doro-West, Eisenbahner, mit weniger als zehn Mitgliedern). Es ist in Japan juristisch problemlos, etwa eine lokale Gewerkschaft zu gründen.

Die Entstehung von Doro-Chiba

Doro-Chiba war ursprünglich der Bezirks-(Präfektur-)Verband der japanweiten Lokomotivführergewerkschaft Doro (National Railway Motive Power Union). Neben dieser Lokführergewerkschaft gab es noch den kämpferischen Eisenbahnarbeiterverband Kokuro (National Railway Workers Union, auch NRU), beide waren Sohyo-Mitglieder.
Ab 1968 nahmen die Konflikte zwischen der Doro-Führung und dem Bezirk Chiba (besonders mit dessen linker Gewerkschaftsjugend) zu. Dies hing mit der japanischen Studentenrevolte zusammen, aber auch mit dem Kampf gegen den US-japanischen Sicherheitspakt AMPO und dem gegen den Flughafen Narita, der 1966 begann. 1973 übernahm eine neue Führung, die aus der linken Gewerkschaftsjugend stammte, die Kontrolle über Doro-Chiba. Die Konflikte mit der Doro-Zentrale wurden immer heftiger.
Die Doro-Zentrale wurde in den 70er Jahren von der Kakumaru-Gruppe (JRCL-RM) geleitet. Die neue Doro-Chiba wurde von der Chukaku-Gruppe (JRCL-NC) unterstützt.*
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre kämpfte Doro-Chiba auf der Seite der Bauern von Sanrizuka gegen den Flughafen Narita und organisierte wiederholt Streiks gegen Tankzüge (Treibstofftransport) für den neuen Flughafen. Die Doro-Zentrale versuchte, diese Kämpfe zu unterdrücken, oft unter Anwendung von Gewalt.
So gründete der Kern des Bezirks Chiba von Doro 1979 die unabhängige Gewerkschaft Doro-Chiba. Daraufhin setzte die Doro-Zentrale massenweise Schlägertrupps und Rollkommandos ein, um die neue Doro-Chiba zu zerstören, aber vergebens.

Oft wird der Kampf zwischen Doro und Doro-Chiba (zugleich ein Kampf zwischen Kakumaru und Chukaku) als eine Auseinandersetzung innerhalb des Lagers der Neuen Linken betrachtet, was aber nicht stimmt. Dies zeigt sich ganz deutlich am Verhalten der jeweiligen Gewerkschaften bei der Aufteilung und Privatisierung der japanischen Staatsbahn (JNR, auf Japanisch «Kokutetsu») in den 80er Jahren.

Privatisierung der Staatsbahn (JNR)

Die Aufteilung und Privatisierung der japanischen Staatsbahn, eine neoliberale Offensive großen Umfangs, fand 1987 statt. Yasuhiro Nakasone, der damalige Ministerpräsident, erklärte damals, die Nachkriegspolitik (das «System von 1955») müsse beendet werden. Die Weltlage erfordere eine entscheidende Wende in der Politik, um die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1974/75 zu bewältigen. Es ging Nakasone dabei allerdings weniger um die Wirtschaft als um eine Änderung des Kräfteverhältnisses gegenüber der Arbeiterklasse.
Nakasone war fest entschlossen, vor allem die militanten Eisenbahnergewerkschaften zu zerschlagen – das war die Vorstufe zur Zerschlagung des japanischen Gewerkschaftsverbands Sohyo. Mit der Beseitigung der kämpferischen Arbeiterbewegung wollte er auch eine Revision der japanischen Verfassung durchsetzen.
Das Projekt wurde von 1983 an sorgfältig und systematisch vorbereitet. Die bürgerlichen Medien schrieben fast täglich von der angeblichen Verantwortung der Eisenbahngewerkschaften und ihrer Mitglieder für das riesige Defizit der JNR und behaupteten, die Eisenbahnarbeiter wären faul.
Beim Übergang zu neuen, privatisierten Eisenbahngesellschaften sollten die Beschäftigten der JNR nicht unbedingt weiter beschäftigt werden, sondern nach einer «Eignungsprüfung» einzeln in die neuen Gesellschaften übernommen werden.

Die Eisenbahn-Gewerkschaften spalteten sich über diese Offensive in zwei Lager: auf der einen Seite Kokuro und Doro-Chiba und einige andere, die die Zerschlagung und Privatisierung ablehnten, auf der anderen Seite Doro (früher sehr kämpferisch, aber seit Ende der 70er Jahren degeneriert) und die rechtssozialdemokratisch geführte Tetsuro (Japan Railway Workers Union, die traditionelle gelbe Gewerkschaft) sowie einige andere Gewerkschaften, die der JNR-Behörde zuarbeiteten und sie bei ihren Privatisierungsplänen unterstützten.
Die Arbeitsplätze bei der Bahn wurden in der Folgezeit zum Schlachtfeld des Kampfes zwischen der JNR und den widerständigen Gewerkschaftsmitgliedern. Letztere wurden ständig unter Druck gesetzt, ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Schikanen und Drohungen von Seiten der JNR-Verwaltung waren an der Tagesordnung.
Die Rolle der Gewerkschaft Doro war geradezu kriminell: Sie beteiligte sich daran, speziell ältere Arbeiter zu zwingen, auf eine Beschäftigung bei der neuen, privatisierten Bahn zu verzichten.
Schon vor Inkrafttreten der Aufteilung und Privatisierung im Frühjahr 1987 sank die Mitgliederzahl von Kokuro von 224000 (1983) auf 44000 (1987). 200000 Bahnarbeiter verliessen damals die JNR. 200 Eisenbahner begingen aus Verzweiflung über ihre Zukunft Selbstmord.

Der Kampf Doro-Chibas

Angesichts der Privatisierungsoffensive entschied sich die von Doro unabhängig gewordene Gewerkschaft Doro-Chiba, geschlossen zu kämpfen und zu streiken, auch auf die Gefahr von Entlassungen hin. Kokuro, die führende Gewerkschaft bei den Beschäftigten der Staatsbahn JNR, fasste dagegen auf ihrer Tagung 1986 den Beschluss, die Aufspaltung und Privatisierung der JNR anzunehmen. Drei Monate später wurde diese Entscheidung unter dem Protest der Mitglieder auf einer außerordentlichen Tagung zurückgenommen. Dies führte zur Spaltung von Kokuro, die Gewerkschaft blieb unfähig, einen Streik zu organisieren.

Streiks von Doro-Chiba hat es zwei gegeben: im November 1985 und im Februar 1986. Ein gewaltiger Polizeieinsatz und 28 Entlassungen waren die Antwort der JNR-Behörde.
Nach der Zerschlagung der JNR und mit Beginn der Bildung privater JR-Teilgesellschaften im April 1987 begannen neue Kämpfe entlang von zwei Herausforderungen:
– ein Kampf für die Zurücknahme der massenhaften und diskriminierenden Entlassungen, die als ungerecht empfunden wurden;
– ein Kampf gegen die Rationalisierungsmaßnahmen der neuen privaten Bahngesellschaften durch Personalabbau und Vernachlässigung der Sicherheitsmaßnahmen – der Begriff «Rationalisierung» kann in diesem Zusammenhang nur als beschönigend, euphemistisch aufgefasst werden.

Kampf für die Zurücknahme der Entlassungen

Zu Beginn der neuen Bahngesellschaften Japan Railways (JR) im Frühjahr 1987 wurden 7628 Arbeiter der Staatsbahn nicht übernommen, sondern in lokale Werkstätten einer «Settlement Corporation» (eine Art Beschäftigungsgesellschaft) geschickt – hier sollten sie maximal drei Jahre auf eine künftige Beschäftigung warten.
Betroffen waren vor allem bekannte Aktivisten verschiedener Eisenbahnergewerkschaften. Es handelte sich um ein Scheinmanöver der «Regulierungsbehörde», um offene massive Entlassungen zu vermeiden und die 7628 Bahnarbeiter spontan oder «freiwillig» zum Verzicht auf eine Weiterbeschäftigung zu nötigen.

Die Drei-Jahres-Frist lief ab und die JR-Gesellschaften kündigten endgültig die übrig gebliebenen 1047 der in die «Settlement Corporation» abgeschobenen Bahnarbeiter. Von diesem Augenblick an begann der Kampf dieser 1047 Bahnarbeiter für die Zurücknahme ihrer Entlassungen. Diese Kampagne dauert bis zum heutigen Tag an.
Kurz vor Ablauf der Frist, also im März 1990, trat Doro-Chiba für 84 Stunden in einen Solidaritätsstreik mit den betroffenen Eisenbahnern. Diese errangen in der Folgezeit mehrere Siege vor Gericht. Die diskriminierenden Entlassungen der JNR wurden als «ungerechtes» und «unfaires» Verfahren verurteilt. Trotzdem verweigerten die JR-Gesellschaften hartnäckig und großenteils gesetzwidrig die Einstellung der 1047 Bahnarbeiter an neuen Arbeitsplätzen.

Die entlassenen Eisenbahner führten ihre Kampagne im Wesentlichen 20 Jahre weiter und trotzten den Versuchen der Regierung, der großen politischen Parteien und der korrumpierten Führungen der großen Gewerkschaften, den Kampf zu dämpfen und zu unterdrücken.
Nach mehreren Versuchen eines Ausgleichs kam es am 9.4.2010 zu einem Wendepunkt im Kampf: Die «Vier Beteiligten und vier mitwirkenden Organisationen», hauptsächlich die Kokuro-Zentrale und die linke Opposition innerhalb von Kokuro, nahmen das Kompromissangebot zur «politischen Lösung des Staatsbahnstreits» an, wie es von den herrschenden politischen Parteien vorbereitet worden war. Der Kompromiss forderte von den JR-Gesellschaften, den entlassenen 1047 Bahnarbeitern eine bescheidene Abfindung als Trostpflaster zu zahlen. Gleichzeitig wurde erklärt, die Aufteilung und Privatisierung der Japanischen Staatsbahn sei ein großer Erfolg für das japanische Volk, die Privatisierung müsse weiter voran getrieben werden.

Es gab kein Wort der Entschuldigung gegenüber den entlassenen Bahnarbeitern.
Damit hatte Kokuro (sowohl die Zentrale als auch die linke Opposition), die das eigentliche Angriffsziel der Privatisierungskampagne gewesen war, den Kampf für die Wiedereinstellung der 1047 aufgegeben.
Ein Jahr darauf, nach dem verheerenden Erdbeben/Tsunami und dem GAU von Fukushima, erklärten der Klägerverband und das Koordinationskomitee den Kampf der 1047 am 24.6.2011 für beendet, weil es keine Möglichkeit für die Beschäftigung der 1047 mehr gäbe.
Trotz heftigen Widerstands einer Minderheit in Kokuro (insbesondere seitens der Doro-Chiba-Strömung) verabschiedete Kokuro diesen Beschluss Ende Juni auf seiner nationalen Konferenz.
Gegen diesen reaktionären Strom hatte sich bereits am 13. Juni 2010 in Tokyo eine landesweite Bewegung der Arbeiter der Staatsbahn (Kokutetsu) gegründet, deren Losung lautete: «Die Flamme der Bewegung der Staatsbahnarbeiter nicht auslöschen!»

Gegen Rationalisierung und für Bahnsicherheit

Unter der Geschäftsführung der nunmehr privatisierten JR-Gesellschaften verschlechterte sich die Lage sowohl für die Bahnarbeiter als auch für die Sicherheit der Bahn. Die Privatisierung verlegte die Priorität der Geschäftspolitik der Bahngesellschaften auf das grenzenlose Streben nach Profit. Das hatte häufig Bahnunfälle und andere gefährliche Zwischenfälle zur Folge (gebrochene Schienen, nicht funktionierende Signale, verschiedene Unfälle usw.).

Unter Rationalisierung verstanden die Geschäftsführungen, nunmehr direkte Agenten diverser privatwirtschaftlicher Profitinteressen («Investoren»), eben nicht, wie oft behauptet, die Steigerung der betrieblichen Effizienz, sondern Personalabbau und Kosteneinsparungen, um die Profitrate zu steigern.
Der größte Eisenbahnunfall ereignete sich am 25.April 2005 in Amagasaki in Westjapan. Das Unglück forderte 107 Todesopfer einschließlich des Lokomotivführers. Es folgten mehrere andere Unfälle in verschiedenen Regionen Japans; vier Zugunglücke in nur einem Jahr.

Doro-Chiba entschied sich angesichts dieser Entwicklung, gegen die Rationalisierung einen systematischen Kampf aufzunehmen und Punktstreiks für die Eisenbahnsicherheit zu führen. Am 10.3.2006 organisierte Doro-Chiba einen 72-Stunden-Streik, auf der Basis der Taktik der «langsamen Zuggeschwindigkeit nach geltenden Regeln» (Dienst nach Vorschrift, Bummelstreik).

Die Grundlinie von Doro-Chiba im Kampf gegen die Rationalisierung ist folgende: Alle Verantwortung für Zugunfälle muss die Direktion der Bahngesellschaften tragen, weil die Hauptursache für die Unfälle in der Vernachlässigung der Bahnsicherheit liegt, nicht in der Tätigkeit der Bahnarbeiter; jegliche Schuldzuweisung an das Stations- und Fahrpersonal wird strikt zurückgewiesen.

Zweite Welle der Aufspaltung und Privatisierung

Im Jahr 2000 begann ein neuer Angriff der JR-Gesellschaften auf die Bahnarbeiter. Nach und nach wurde klar: Die privaten Gesellschaften versuchen, die mangelhaften Ergebnisse der Privatisierung durch eine weitere Aufsplitterung der schon privatisierten sieben Bahngesellschaften in Tochtergesellschaften und Subunternehmen zu überwinden, vorgeblich um die «Wettbewerbsfähigkeit zu stärken». In Wirklichkeit bedeutet das die systematische Verlagerung wesentlicher Bahn- und Transportdienste in Subunternehmen (Outsourcing) und die «Notwendigkeit», noch mehr Arbeitsplätze und Personal abzubauen.
Dahinter steht die Absicht der Bahn-Kapitalisten, gleichzeitig die Gewerkschaften zu zerschlagen und die Solidarität unter den Bahnarbeitern zu zerstören, ihren Zusammenhalt zu zersetzen. Dieser Angriff bildet den Kern der zweiten Welle der Aufteilung und Privatisierung, besser gesagt, ihre Vollendung nach 24 Jahren.
Doro-Chiba führte dagegen von Ende 2009 bis Anfang 2012 mehrmals Punktstreiks durch und verhinderte dadurch bislang wenigstens im Bahnbezirk Chiba die Durchsetzung der Outsourcing-Strategie.
Bis zum heutigen Tage bildet Doro-Chiba den Kern der Kokutetsu-Bewegung (Bewegung der Staatsbahnarbeiter). Darüber ist sie eine treibende Kraft für eine klassenorientierte Arbeiterbewegung, die sich branchenübergreifend und unter Einbeziehung zahlreicher anderer gesellschaftlichen Bewegungen alljährlich in der Novemberdemonstration in Tokyo manifestiert.
Gerade in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise ist Doro-Chiba sehr am Aufbau solidarischer Kontakte mit klassenkämpferischen Gewerkschaftern, Aktivisten, Gruppen und Verbänden weltweit interessiert, sie kann problemlos auch in deutscher Sprache kontaktiert werden.

von Nemetico
(in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Arbeitersolidaritätskomitee von Doro-Chiba)

Englische Webseiten von Doro-Chiba:
http://www.doro-chiba.org/english/english.htm;
Kontakt: Internationales Arbeitersolidaritätskomitee von Doro-Chiba (deutschsprachige Abteilung); «Tigerman», doro-chiba-international-de @auone.jp.

*Die JRCL (Japan Revolutionary Communist League) ist eine trotzkistische Abspaltung von der Kommunistischen Partei Japans aus den späten 50er Jahren. Sie selbst erfuhr dann drei Spaltungen. Aus der letzten sind JRCL-NC (Chukaku) und JRCL-RM (Kakumaru) entstanden. Die beiden bekämpften sich heftig, später zum Teil sehr gewaltsam. (Anm.d.Red.)

Erstveröffentlichung:
http://www.sozonline.de/2012/02/eine-kurze-geschichte-von-doro-chiba/

Fumiaki Hoshino – Seit 38 Jahren unschuldig im Gefängnis?

„HOSHINO O KA‘ESE! OKINAWA NO KIJI O NAKUSE!“ Laute Rufe durchschallten am 5. Februar 2012 das Tokushima Gefängnis auf der japanischen Insel Shikoku. 600 Demonstranten waren aus ganz Japan angereist, hatten die Haftanstalt umrundet und forderten lautstark: „Freiheit für Hoshino! Weg mit den Militärbasen in Okinawa!“ Einer der Sprecher stellt fest: „Wie viele Arbeitsplätze wurden nach dem Großen Erdbeben und dem AKW-Unfall vernichtet, wie viele Kinder wurden verstrahlt? Nicht Hoshino, sondern die verdorbene Oberschicht Japans und die Politiker gehören hinter Gitter!“ Der 66 jährige Fumiaki Hoshino sitzt seit 38 Jahren im Gefängnis, seit 1987 in Tokushima. Verurteilt wurde er wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten bei einer Demonstration im Jahre 1971 gegen US-Militärbasen und Atomwaffen auf Okinawa. Er selbst beteuert seine Unschuld, und seine Unterstützer sind davon überzeugt, dass ihm als Sündenbock die Schuld in die Schuhe geschoben wurde.

US-Militärstützpunkte in Okinawa

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Japan von den USA besetzt, und erlangte 1952 nach dem Friedensvertrag von San Francisco seine Souveränität zurück. Neben einigen kleineren Inseln stellte die südlichste japanische Inselgruppe Okinawa eine Ausnahme dar, und stand weiterhin unter einer US-amerikanischen Militärregierung. Durch den forcierten Ausbau von Armeestützpunkten entwickelte sich Okinawa zum größten US-amerikanischen Truppenstandpunkt im Pazifikraum, welcher u.a. im Koreakrieg und im Vietnamkrieg eine zentrale Rolle spielte. Erst 1972 sollte Okinawa in den japanischen Staat wiedereingegliedert werden, was nicht zuletzt als Erfolg der andauernden Proteste der Zivilbevölkerung gegen die Militärregierung gewertet werden kann. Bedingung für die Rückführung war jedoch eine Zusicherung des Weiterbestehens der US-Militärstützpunkte sowie Zahlungen der japanischen Regierung für deren Unterhalt. Überdies wurden Geheimabsprachen über die Stationierung von Nuklearwaffen in Okinawa getroffen. Die Bevölkerung von Okinawa reagierte u.a. mit einem Generalstreik am 10. November 1971. Der Protest fand große Unterstützung in ganz Japan, in allen Teilen des Landes wurden Großdemonstrationen mit zehntausenden von Menschen organisiert. Im Vorfeld der Ratifizierung des Rückführungsvertrags von Okinawa erließ die japanische Regierung ein Versammlungs- und Demonstrationsverbot in Tokyo. Am 14. November kam es daraufhin zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Staatsgewalt, wobei eine Demonstrantin und ein Polizist getötet wurden.

Politischer Gefangener?

Als einer der Organisatoren dieser Demonstration wurde Fumiaki Hoshino für den Tod des Polizisten verantwortlich gemacht, 1975 festgenommen und 1983 schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Unterstützer vermuten hinter der Verurteilung einen politischen Hintergrund, und setzen sich seit nunmehr drei Jahrzehnten für seine Freilassung ein. Es gibt keine materiellen Beweismittel für den Mord, als Schuldbeweis gelten nur die Zeugenaussagen von sechs Demonstranten, die in abgeschlossenen Verhörräumen der Polizei aufgezeichnet wurden. Fünf dieser angeblichen Augenzeugen widerriefen später ihre Aussagen und gaben an, dass sie zu den Aussagen gezwungen wurden. Der sechste verweigerte bei der Gerichtsverhandlung seine Aussage. Hoshinos Anhänger gehen deshalb davon aus, dass Polizei und Staatsgewalt an Hoshino ein Exempel statuieren wollten, um die Bewegung gegen die US-Basen zu schwächen. 1996 wurde der erste Antrag zu Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, welcher abgelehnt wurde. 2009 wurde ein zweiter Antrag gestellt, diesmal mit vielversprechenden neuen Beweismitteln: Nach der Freigabe von Polizeiarchiven tauchten neue Fotos auf, welche die Unschuld Hoshinos eindeutig belegen sollen. Außerdem kann altes Beweismaterial durch neue elektronische Verfahren genauer analysiert werden. Mit den neuen Beweismitteln sind sich Hoshinos Anwälte sicher, dass er in zwei bis drei Jahren entlassen wird.

Der demonstrierende Student Fumiaki Hoshino

Die wachsende Bewegung „Free Hoshino!“

Seit seiner Festnahme ist der Kreis von Hoshinos Unterstützern ständig gewachsen. Dazu zählen unter anderen ehemalige Mitstreiter, Verwandte, Anwälte, politische Aktivisten, und seit der Katastrophe von Fukushima auch Atomkraftgegner. Einmal pro Jahr kommen Vertreter von Unterstützergruppen aus allen Teilen Japans in Tokyo zusammen, die letzte Versammlung im November 2011 war mit ca. 600 Teilnehmern die bisher größte. Neben zahlreichen Vertretern von Arbeitergewerkschaften waren auch mehrere Aktivisten der neuen japanischen Anti-Atomkraftbewegung anwesend, einige waren direkt aus Fukushima angereist. Was die Atomkraftgegner mit der Hoshino-Bewegung zu tun haben, formulierte Hoshino persönlich in einer Nachricht an die Konferenzteilnehmer: „Wie von bestimmten Tageszeitungen und Politikern inzwischen offen ausgesprochen wird, können mit AKWs und Plutonium unkompliziert Nuklearwaffen hergestellt werden. AKWs dienen somit der nuklearen Abschreckung. Um den eigenen Profit zu steigern, klammert sich das neoliberalistische System bis zum Äußersten an AKWs, beschäftigt irreguläre Arbeiter, und nimmt es in Kauf, dass die Bürger radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind. (…) Lasst uns solidarisch mit 99% der Menschen gemeinsam dieses kapitalistische System abschaffen, und eine humanistische Gesellschaft aufbauen.“ Für Hoshino symbolisieren AKWs das, wogegen er schon auf der Demo 1971 gekämpft hat: Atomwaffen, Militarisierung, Kumulation von Macht.

Hoshinos Anhänger beim Jahrestreffen in Tokyo, November 2011


Eine Flagge der „Free Hoshino“ Bewegung

Eine zentrale Rolle in der Bewegung spielt Akiko, die Ehefrau von Fumiaki Hoshino. Das erste Mal sahen sie sich auf einer Gerichtsverhandlung im Jahre 1986, und nach mehreren Gefängnisbesuchen heirateten die beiden. Neben der Freilassung setzt sich Akiko auch vehement für eine Verbesserung der Haftbedingungen ein, die von Willkür und teilweise unmenschlicher Behandlung gekennzeichnet sind. So werden ihre Briefe an den Ehemann teilweise geschwärzt, Besucher werden aus unverständlichen Gründen abgewiesen. Aus humanistischer Sicht sind die Zustände in Japans Gefängnissen aber nicht nur im Fall Hoshino „grausam, unmenschlich oder erniedrigend“, wie in einem Jahresbericht von Amnesty International angegeben wird. Dieser Bericht von 1998 geht auch konkret auf die Haftbedingungen Hoshinos ein. Durch internationale Zusammenarbeit von Arbeitergewerkschaften erfährt Hoshino in letzter Zeit auch in den USA Unterstützung. Gleichzeitig zum Jahrestreffen der Hoshino-Bewegung in Tokyo fand im November 2011 eine Protestaktion vor dem japanischen Konsulat in San Francisco statt, im Juli 2011 gab es eine Ausstellung von Bildern, die Hoshino im Gefängnis gemalt hat. Seine Frau bringt jährlich einen Kalender mit seinen Gemälden, meist Stillleben, heraus.

Hoshinos Frau Akiko spricht zu ihren Mitstreitern auf dem Jahrestreffen

Stillleben gemalt von Hoshino mit seiner Frau Akiko

US-Militär und Okinawa heute Auch nach fast einem halben Jahrhundert ist das Thema der US-Militärstützpunkte auf Okinawa noch genauso aktuell wie der Kampf um die Befreiung Hoshinos. Die Pazifik-Region ist militärstrategisch gekennzeichnet durch aufsteigende Rivalitäten zwischen den Supermächten China und den USA, und mit 25.000 Soldaten ist Okinawa noch immer der größte US-Armeestützpunkt im West-Pazifik. Durch zähen Widerstand hat die Bevölkerung von Okinawa erreicht, dass 8.000 Soldaten aus Okinawa abgezogen werden sollen. Es ist geplant, diese unter anderem in Guam zu stationieren, was als größter US-amerikanischer Stützpunkt der Region ausgebaut werden soll. Außerdem soll der US-Marineinfanterie-Luftwaffenstützpunkt Futenma verlegt werden, wodurch Okinawa viel Land zurückbekommen würde. Die japanische Zentralregierung und das Pentagon bevorzugen jedoch eine Verlegung von Futenma innerhalb Okinawas, konkret eine Integration in den bereits bestehenden Stützpunkt Camp Schwab in Henoko, wo eine neue Landebahn gebaut werden soll. Dies stößt auf massiven Widerstand der lokalen Bevölkerung und wird gegenwärtig heiß diskutiert. Wie seine zahlreichen Texten belegen, nimmt Fumiaki Hoshino aus der Gefangenschaft rege am gegenwärtigen politischen Geschehen teil, und wie es eine seiner Anhängerinnen ausdrückte: „Hoshinos Kampf im Gefängnis und unser Kampf für seine Freilassung gibt uns hier draußen Zusammenhalt und Motivation, uns weiterhin politisch zu engagieren.“ Umfangreiches Material der Hoshino-Bewegung auf Japanisch, teilweise mit Englischer Übersetzung, findet man auf diesen Internetseiten.
http://fhoshino.u.cnet-ta.ne.jp/

Von Sascha Klinger

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