Mittwoch, 7. März 2012

"Bochumer Programm"

In unserer Stellungnahme zu den Diskussionsprozessen um die NAO, initiiert durch die SIB, schrieben wir auch:
So sehr wir übrigens mit den Forderungen des Bochumer Programms sympathisieren, so wenig sehen wir dort die Möglichkeit der Einbeziehung von Krisenbetroffenen mit reformistischen illusionen gegeben.
Trotzdem halten wir das Bochumer Programm für sehr diskussionswürdig.
Aber wir halten es für wenig geeignet als Grundlage einer Einheitsfrontinitiative.

Um ein konkretes Bild darüber zu erhalten, hier der Wortlaut des Bochumer Programms:
http://www.trend.infopartisan.net/trd0911/t610911.html
Es besteht letztlich aus 14 Forderungen.
An wen sie sich im einzelnen richten, ist unklar, klar erscheint jedenfalls, dass "Kommunalisierung" einen Schwerpunkt in diesem Programm hat.
Klar sind die Forderungen sehr diskussionswürdig. Nur Stalinisten können Kommunalisierung von der Gestaltung einer Zukunftsgesellschaft ausschließen.
Aber ebenso klar ist auch, dass die Verfasser eine Strömung repräsentieren, die Kommunalisierung an die Stelle der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates stellen möchten und eine Art Syndikalismus mit marxistischer Terminologie vertreten.
Darauf deutet auch dies hier hin:
http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=6759
So diskussionswürdig ich einzelne Forderungen der Bochumer halte, so unzutreffend finde ich dieses verallgemeinernde Schema, das zwischen einem "guten Sozialismus" (dezentrale Bedarfswirtschaft) und "bösem Sozialismus" (zentral gelenkte Planwirtschaft) unterscheiden will.
Das eigentliche Thema dieses "Schemas", Stalinismusm, bleibt unausgesprochen und wird auf eine "böse" Sozialismusvorstellung zurückgeführt.
Das Schema verspricht alles und hält nichts, wird der Komplexität aller angesprochenen Themen nicht im geringsten gerecht.
Das Verhältnis von Markt und Plan, Klassenverhältnisse, Produktionsweisen, Organisation der Produktion sowie ihre Art und Weise, von alldem wird abstrahiert zugunsten einer naiven Gut-Böse-Gegenüberstellung.
Das ist die Position einer Strömung, die eine Art kommunalen Syndikalismus über alles stellt und dabei jede Menge methodischer Fehler begeht, das ist aber mit Sicherheit keine Initiative, die eine Einheitsfront herbeiführen könnte.
Diskussionswürdig sind solche Auffassungen schon, aber mehr auch nicht.
Ich bin ein engagierter Kämpfer gegen elitaristische Vorstellungen auch und gerade unter Trotzkisten, aber mit diesem Schema machen sich es die Bochumer zu leicht.
Was sie da produziert haben, ist ein Mythos: Wenn "man" nur sorgfältig jede zentralistische Planwirtschaft (egal auf welchem Gebiet und in welchem Sektor) vermeidet oder verhindert, dann gibt es auch keinen Stalinismus mehr.
Und die Frage der Überwindung des Kapitalismus und seiner zentralistischen Staatsstrukturen wird gleich gar nicht beantwortet, das soll sich im Zuge der "Kommunalisierung" wohl selbst erledigen.
NACHTRAG: Die Bochumer werfen wichtige Fragen auf (und die der Kommunalisierung gehört dazu), aber ihre eigenen Antworten darauf sind dürftig und nicht überzeugend.
Robert Schlosser - 23. Mär, 11:25

Verteidigung des Bochumer Prgramms

Hallo Bronsteyn,
wenn ich hier ein paar Anmerkungen zu Deiner Kritik am Bochumer Programm schreibe, dann handelt es sich dabei nicht um eine Stellungnahme „der Bochumer“.
Ich habe das Programm mit entwickelt und einiges zu seiner Begründung und Verteidigung geschrieben. ( siehe: http://www.rs002.de/Soziale_Emanzipation/Start.htm; Abschnitt: Neue antikapitalistische Organisation und Bochumer Programm) Fürs erste habe ich mich vollständig aus der öffentlichen Debatte um NAO und Bochumer Programm zurückgezogen, was persönliche und politische Gründe hat. Auf Deine Kritik will ich trotzdem und ausnahmsweise kurz eingehen. Du schreibst zum Bochumer Programm:

„Es besteht letztlich aus 14 Forderungen.
An wen sie sich im einzelnen richten, ist unklar, klar erscheint jedenfalls, dass "Kommunalisierung" einen Schwerpunkt in diesem Programm hat.“

Aus dem Bochumer Programm geht meiner Meinung nach deutlich hervor, dass es sich an „die Mehrheit“ wendet, an „die Werktätigen“. (Im Übrigen geht es aus den formulierten Zielen selbst hervor, in wessen Interesse sie formuliert sind.) Man mag dafür deutlichere Worte finden, was eine Sache der redaktionellen Bearbeitung wäre. Aus allen meinen Stellungnahmen, wie denen der anderen, die für die Verteidigung dieses Programmvorschlags gestritten haben, geht deutlich hervor, dass sich das Programm an die LohnarbeiterInnen wendet. Es wäre aus meiner Sicht übrigens ein merkwürdiges praktisches Programm, aus dessen Zielen/Forderungen nicht hervorginge, an wen es sich wendet, in wessen Interesse es also formuliert wurde..
Dies ist jedoch nur ein Detail, über das wir uns sicher schnell verständigen könnten. Es geht jedoch um Grundsätzliches in Deiner Kritik. Du schreibst:

„Klar sind die Forderungen sehr diskussionswürdig. Nur Stalinisten können Kommunalisierung von der Gestaltung einer Zukunftsgesellschaft ausschließen.
Aber ebenso klar ist auch, dass die Verfasser eine Strömung repräsentieren, die Kommunalisierung an die Stelle der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates stellen möchten und eine Art Syndikalismus mit marxistischer Terminologie vertreten.“

Es geht nicht um den Ausschluss der Kommunalisierung! Es geht meiner Meinung nach um den Focus auf Kommunalisierung! Wodurch soll die zentralisierte Staatmacht ersetzt werden? Was soll an seine Stelle treten? Durch welche Maßnahmen und welche Ordnung kann sich die Rücknahme staatlicher Funktionen in und durch die Gesellschaft vollziehen?
Aus meiner Sicht ist Deine Gegenüberstellung von Kommunalisierung und Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates ein nicht nachvollziehbarer Widerspruch. Die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates besteht nach unserem Verständnis ja wesentlich gerade in der Kommunalisierung!
Wir stützen uns mit dieser Ausgangsposition nicht auf Lenins „Staat und Revolution“, sondern auf „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, einer Schrift, in der Marx seine Lehren aus der Pariser Kommune zog.

„Die zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen – stehende Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand, Organe, geschaffen nach dem Plan einer systematischen und hierarchischen Teilung der Arbeit – stammt her aus den Zeiten der absoluten Monarchie, wo sie der entstehenden Bourgeoisgesellschaft als eine mächtige Waffe in ihren Kämpfen den Feudalismus diente.“
(Der Bürgerkrieg in Frankreich, Dietz Verlag Berlin 1949, S. 66)
Diese zentralisierte Staatsmacht wurde im Laufe der Geschichte immer weiter vervollkomnet und diente der Bourgeoisie im entwickelten Kapitalismus zu Sicherung ihrer Macht, zur Niederhaltung der Klasse der LohnarbeiterInnen.
Die Pariser Kommune bedeutete das Zerbrechen dieser „zentralisierten Staatsmacht“!
„Die öffentlichen Ämter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger der Zentralregierung zu sein.“ (ebenda S. 70)

„Die Pariser Kommune sollte selbstverständlich allen großen gewerblichen Mittelpunkten Frankreichs zum Muster dienen. Sobald die kommunale Ordnung der Dinge einmal in Paris und den Mittelpunkten zweiten Ranges eingeführt war, hätte die alte zentralisierte Regierung auch in den Provinzen der Selbstregierung der Produzenten weichen müssen. In einer kurzen Skizze der nationalen Organisation , die die Kommune nicht die Zeit hatte, weiter auszuarbeiten, heißt es ausdrücklich, dass die Kommune die politische Form selbst des kleinsten Dorfes sein, und dass das stehende Heer auf dem Lande durch eine Volksmiliz mit äußerst kurzer Dienstzeit ersetzt werden sollte. ...
Die wenigen, aber wichtigen Funktionen, welche dann noch für eine Zentralregierung übrigblieben, sollten nicht, wie dies absichtlich gefälscht worden, abgeschafft, sondern an kommunale, d.h. streng verantwortliche Beamte übertragen werden. Die Einheit der Nation sollte nicht gebrochen, sondern im Gegenteil organisiert werden durch die Kommunalverfassung; sie sollte eine Wirklichkeit werden durch die Vernichtung jener Staatsmacht, welche sich für die Verkörperung dieser Einheit ausgab, aber unabhängig und überlegen sein wollte gegenüber der Nation, an deren Körper sie doch nur ein Schmarotzerauswuchs war. Während es galt, die bloß unterdrückenden Organe der Regierungsmacht abzuschneiden, sollten ihre berechtigten Funktionen einer Gewalt, die über der Gesellschaft zu stehen beanspruchte, entrissen und verantwortlichen Dienern der Gesellschaft zurückgegeben werden. Statt einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll, sollte das allgmeine Stimmrecht dem in Kommunen konstituierten Volk dienen, wie das Stimmrecht jedem andern Arbeitgeber dazu dient, Arbeiter, Aufseher und Buchhalter in seinem Geschäft auszusuchen...
Andererseits aber konnte nichts dem Geist der Kommune fremder sein, als das allgemeine Stimmrecht durch hierarchische Investitur zu ersetzen.“ (ebenda S. 71, 72)

„Das bloße Bestehen der Kommune führte, als etwas Selbstverständliches, die lokale Selbstregierung mit sich, aber nun nicht mehr als Gegengewicht gegen die, jetzt überflüssig gemachte, Staatsmacht.“ (ebenda S. 73)

Für Marx war es „die neue Kommune, die die Staatsmacht bricht“!!!! (ebenda S. 72)

Auch aus meiner Sicht bedeutet der Kampf um Kommunalisierung und Demokratisierung in der bürgerlichen Gesellschaft nicht die Brechung der Staatsmacht, aber er bereitet sie vor, mit dem Ziel einer revolutionären „Kommunalverfassung“ vor Augen.
Das Bochumer Programm zieht aus der Marxschen Kennzeichnung der Pariser Kommune in der Tat programmatische Konsequenzen, die so bisher noch nicht gezogen wurden. Diese Konsequenzen unterscheiden sich vor allem deutlich von den Folgerungen die Lenin in „Staat und Revolution“ (Zentralismus und freiwillige Unterordnung versus Selbstregierung der Kommunen) daraus gezogen hat, in klarer Abrenzung von allen programmatischen Varianten der kommunistischen Weltbewegung (III. Internationale).

Die Pariser Kommune entstand „spontan“, ähnlich wie die Räte im Verlauf der russischen Revolution. Sie war nicht Produkt eines langen politischen Kampfes für ein zuvor ersonnenes Programm, dass auf diese Kommune abzielte, sie vorbereitete! Wenn man sich heute an der Pariser Kommune orientieren will, dann bedeutet das für revolutionäre Politik gerade nicht, auf die spontane Entwicklung zu warten und zu hoffen. Das liefe bzw. läuft tatsächlich aus meiner Sicht auf ein Lippenbekenntnis zur Pariser Kommune hinaus, das leider weit verbreitet ist. Heute gilt es, daraus programmatische Konsequenzen zu ziehen, die den Leitfaden für eine solche Politik abgeben und die revolutionäre Kommune vorbereiten, bewusst daraufhin orientieren.
Meine Position dazu:
Der Kampf um „die Zerschlagung der bürgerlichen Staates“ beginnt hier und heute, er beginnt als Kampf für die Kommune, zunächst – das kann auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft kaum anders sein - als „Gegengewicht gegen die zentralisierte Staatsmacht“. Das ist zunächst ein Kampf um politische Reformen, der an den in den Kommunen und zwischen Kommunen und Zentralregierung sich zuspitzenden Widersprüchen ansetzt und dem politischen und sozialen Widerstand eine sozialemanzipatorische Perspektive gibt (Selbstverwaltung, speziell kommunaler Betriebe und Einrichtungen, „Bürgerentscheide“, etc. mit dem langfristigen politsch-revolutionären Ziel der Brechung zentralisierter Staatsmacht durch lokale Selbstregierung).

Marx bezeichnete die Kommune als „die politische Form der sozialen Emanzipation“. Daran gilt es anzuknüpfen und festzuhalten, auch nach der Entstehung der Rätebewegung. Die in den Betrieben entstandenen Räte sind nicht geeignet für die „politische Form der sozialen Emanzipation“! Sie sind geeignet als Organe der Revolution und sie sind geeignet als Organe der Selbstverwaltung und vernetzten Produktionsplanung genossenschaftlicher Betriebe. Die Räte stehen also nicht im Widerspruch zur Kommune und zur Kommunalverfassung, sie ergänzen sie und sind der Kommune untergeordnet.
Das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen ist unmittelbar nicht betrieblich organisiert, sondern kommunal. Nicht die Sowjetverfassung sondern die Kommunalverfassung der Gesellschaft ist daher das Ziel. Betrieblich organisiert ist nur die Produktion und das sollte auch so bleiben. Die Kommune ist zentraler Lebensort in dem die wesentlichen öffentlichen Funktionen auf radikaldemokratische Weise organisiert werden müssen.

Es geht also nicht um „gute“ oder „böse“ Sozialismusvorstellungen – damit machst Du es Dir aus meiner Sicht wirklich etwas einfach - sondern es geht darum, welche konkreten Schritte und Ziele der sozialen Emanzipation förderlich sind und welche nicht. Was Bolschewiki und Komintern an Praxis und Programmatik entwickelt haben führte zu einem realen Sozialismus, der der sozialen Emanzipation nicht förderlich war. (Warum und wie die Bolschewiki in Russland erfolgreich die politische Macht erobert haben, den Zarismus stürzten und seine Rückkehr erfolgreich verhinderten steht auf einem andern Blatt und will ich hier nicht weiter diskutieren.)

Du schreibst weiter über das Bochumer Programm:
„Das Schema verspricht alles und hält nichts, wird der Komplexität aller angesprochenen Themen nicht im geringsten gerecht.
Das Verhältnis von Markt und Plan, Klassenverhältnisse, Produktionsweisen, Organisation der Produktion sowie ihre Art und Weise, von alldem wird abstrahiert zugunsten einer naiven Gut-Böse-Gegenüberstellung.
Das ist die Position einer Strömung, die eine Art kommunalen Syndikalismus über alles stellt und dabei jede Menge methodischer Fehler begeht, das ist aber mit Sicherheit keine Initiative, die eine Einheitsfront herbeiführen könnte.
Diskussionswürdig sind solche Auffassungen schon, aber mehr auch nicht.“

Ich schreibe diese kurze Stellungnahme überhaupt nur, wegen dieses letzten Satzes. Immerhin betrachtest Du unseren Ansatz als „diskussionswürdig“.
Wenn allerdings unser Ansatz „eine Art kommunaler Syndikalismus“ ist, dann kann ich mit gutem Grund Marx als Begründer dieser Richtung bezeichnen.
Nach unserem Verständnis ist das „Bochumer Programm“ ein revolutionäres Minimalprogramm, dass der Natur der Sache nach „das Verhältnis von Plan und Markt“, „Organisation der Produktion“ weder zum Gegenstand von Kritik machen sollte, noch direkt ein Programm kommunistischer Umgestaltung sein kann. Das Ziel der Überwindung des Systems der Lohnarbeit wird nur in allgemeiner Form angesprochen. Sowohl die Betonung dieses langfristigen Ziels, wie auch die „gewerkschaftlichen Forderungen“ machen deutlich, dass wir nicht von „den Klassenverhältnissen“ abstrahieren, sondern von den bestehenden Klassenverhältnissen ausgehen und Partei ergreifen.

Unsere „naive Gut-Böse-Gegenüberstellung“ geht aber noch weiter:

„Ein geistreicher Sozialdemokrat der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bezeichnete die Post als Muster sozialistischer Wirtschaft. Das ist durchaus richtig. …
Unser nächstes Ziel ist, die gesamte Volkswirtschaft nach dem Vorbild der Post zu organisieren, und zwar so, dass die unter Kontrolle des bewaffneten Proletarisats stehenden Techniker, Aufseher, Buchalter sowie alle beamteten Personen ein den „Arbeiterlohn“ nicht überschreitendes Gehalt beziehen. Das ist der Staat, das ist die ökonomische Grundlage des Staates, wie wir sie brauchen.“
So schrieb Lenin in Staat und Revolution. (Ausgewählte Werke Bd. 2, DietzVerlag Berlin 1967, S. 358) Wal Buchenberg hat in seinem ausgezeichneten Buch „Was Marx an der Sowjetökonomie kritisiert hätte“ nachvollziehbar und überzeugend gezeigt, zu welcher gesellschaftlichen Praxis das geführt hat.
Wir lehnen eine Vorstellung, die die deutsche Reichspost „als Muster sozialistischer Wirtschaft“ betrachtet, grundsätzlich ab! Wir lehnen einen „revolutionären Bruch“ (mir reicht es, von Revolution zu sprechen und zwischen politischer und sozialer Revolution zu unterscheiden) ab, der zwar endlich sozialistische Demokratie verspricht, aber den Bruch mit den staatssozialistischen Vorstellungen der Vergangenheit vermeiden will.
Die Bolschewiki haben ja Wort gehalten und die ganze Wirtschaft nach dem Vorbild der deutschen Reichspost umorganisiert. Mit einer „freien Assoziation der Produzentinnen“ hatte das nichts zu tun. Nicht erst seit Stalin!
Die Vorstellung von sozialistischen Produktionsverhältnissen der russischen Bolschewiki unterschieden sich nicht von denen der anderen Sozialdemokraten. In seinem „Finanzkapital“ etwa spricht Hilferding von der „durch das gesellschaftliche Zentralorgan“ „bewusst geregelten Gesellschaft“. (Das Finanzkapital Bd. I, EVA 1968, S. 26) Gleiche Vorstellungen etwa finden sich bei Preobraschenski in seinem Buch über die „neue Ökonomik“. Darin heißt es:
„Nicht die Preise auf dem Markt, sondern die Zahlenkolonnen der sozialistischen Buchhaltung vor der Produktion werden das Alarmzeichen geben und in das Bewusstsein der planenden Zentren dringen ...“ (Die neue Ökonomik, Verlag neuer Kurs, 1971, S. 69)
Alle Vorstellungen von reformistischen und revolutionären Sozialdemokraten über eine sozialistische Produktionsweise kreisten um solche zentralisierten Großbetriebe und zentralstaatliche Planung.

Der „Syndikalist“ Marx schlug anderes vor:
„Wenn aber die genossenschaftliche Produktion nicht eitel Schein und Schwindel bleiben, wenn sie
das kapitalistische System verdrängen, wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale
Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigene Leitung nehmen
und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das
unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll – was wäre
das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der 'mögliche Kommunismus'?
(Marx, „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, Dietz Verlag Berlin, 1963, S. 77)

Regelung durch die „Gesamtheit der Genossenschaften“! Das ist etwas anderes als Regelung durch ein „Zentralorgan“ oder „planende Zentren“!
Es geht auch hier nicht um gut oder böse, sondern um die Frage, in welchen Formen die unmittelbaren ProduzentInnen sich überhaupt die gegenständlichen Bedingungen ihrer Reproduktion aneignen können, wer planen soll und was also der sozialen Emanzipation förderlich ist. Aus unserer Sicht kann dies überhaupt nur in Form der genossenschaftlichen Selbstverwaltung gehen und nicht dadurch, dass eine politische Partei als Vertreterin der Klasse und im Besitz der politischen Macht „das Staatsmonopol zum Nutzen des ganzen Volkes anwendet“ (Lenin). Ein solcher „Staatssozialismus“ kann im besten Fall eine „Sozialstaat“ sein, der durch verschiedene Maßnahmen „dem ganzen Volk“ soziale Leistungen gewährt. Im schlechtesten Falle macht er nicht einmal das, sondern behauptet einfach, dass seine Maßnahmen „zum Nutzen des Volkes“ seien. Beides finden wir im Realsozialismus. Es geht aber um soziale Emanzipation und das heißt vor allem Selbstbestimmung „des Volkes“.
Über diese Fragen kann und muss man heute streiten – inhaltlich!. Man kann sie nicht beiseite lassen und es führt zu nichts, wenn als erstes schon mal eine Schublade gesucht wird, in die jemand gepackt werden kann. Diskutieren ist etwas anderes als sortieren!

Ich komme schon zum Schluss:
Aus meiner Sicht ist unser Programmvorschlag noch ein sehr grober Klotz, den es zu verfeinern gilt. Dafür ist noch einiges an theoretischer Arbeit, speziell Untersuchung über die Stellung der Kommunen im heutigen Staat, Untersuchung über die zahlreichen kommunalen Auseinandersetzungen als Anknüpfungspunkte etc. nötig.
An bestimmten Auseinandersetzungen beteilige ich mich auch weiter nicht. Ich sehe mich subjektiv als Revolutionär und wenn Leute, die die „subjektiven Revolutionäre“ organisieren wollen, nichts besseres zu tun haben, als mir - wie allen „Bochumern“ - objektiv Reformismus etc. vorzuwerfen, dann sollen sie das tun. Es geht mir am Arsch vorbei.
Die Perspektive der radikalen Linken entscheidet sich danach, ob sie die Fähigkeit zu radikaler Kritik haben bzw. entwickeln und ob es ihnen gelingt eine Programmatik zu formulieren, die das Streiten für soziale Emanzipation wieder überzeugend und glaubhaft macht und ihr förderlich ist. Das sehe ich in der NAO-Diskussion gegenwärtig überhaupt nicht.
Es wäre dagegen wichtig und der Sache dienlich, wenn man nicht über gut und böse, über Einordnung in bestimmte Schubladen (Richtungen, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben) etc. streiten würde, sondern über Inhalte und Formen sozialer Emanzipation.

Das wär es in gebotener Kürze. Solltest du Lust versprüren, darauf zu entworten, dann werde ich das aufmerksam lesen. Auf eine weitere Antwort von mir wirst du aber vorerst verzichten müssen. Deine Kritik sollte aber nicht unbeantwortet bleiben. Ich bin dann erst mal wieder weg.

Gruß
Robert Schlosser

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