Montag, 23. Januar 2012

Abschiebepraxis in der BRD

Manchmal bringt auch die bürgerliche Presse interessante Artikel, hier eine Filmdokumentation zum tödlichen Schicksal von Wadim K., einem jungen Russen aus Lettland, der an seiner Staatenlosigkeit verzweifelte und Selbstmord beging.

Ohne Eltern abgeschoben - von Hamburg in den Tod getrieben

Kritische Thesen zu "Unsere Zukunft ist die neue Welt, der Kommunismus !"

19 kommunistische (ich meine: poststalinistische) Jugendorganisationen in Europa haben eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, darunter die SDAJ - Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend.
http://kritische-massen.over-blog.de/article-unsere-zukunft-ist-die-neue-welt-der-kommunismus-97710562.html
Bei aller Zustimmung zur Überschrift kritische Thesen zum Inhalt.

Ich übergehe alle Passagen, denen ich zustimmen kann, um auf die für mich wesentlichen Punkte zu kommen.

1. Ich bestreite explizit die Charakterisierung der ehemaligen Ostblockstaaten als "sozialistisch" und verweise darauf, dass ein Lenin schon klargestellt hat, dass von Sozialismus nicht gesprochen werden kann, wo Arbeiter und Bauern als Klassen fortdauern, von der Existenz der parasitären Bürokratie ganz zu schweigen.
2. Die Diskreditierung der Begriffe Sozialismus und Kommunismus ist nur zu einem Teil Ergebnis der ohnehin konstanten imperialistischen Medienmaschine (Wahrnehmungsmanagement), zum anderen Produkt der realen sinnlichen Erfahrung eines bürokratischen Zwangssystems durch Millionen Menschen.
3. Es ist falsch, die Gesellschaftsstufe des Sozialismus auf Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und die grundlegende Existenzsicherung der Arbeiterklasse zu reduzieren (Garantismus), wenn auch beide Elemente wesentliche Bestandteile des Sozialismus sind. Weitere wichtige und notwendige Bestandtteile einer sozialistischen Gesellschaft sind ein Staatsaufbau (eines absterbefähigen Arbeiterstaates) auf der Basis von Räten zum einen (und kein Krypto- und Pseudoparlamentarismus, wie er die stalinistischen Regime auszeichnete), sowie der "genossenschaftliche Zusammenschluss der gesamten Gesellschaft", wie es Lenin in seiner letzten grossen Schrift dringend anmahnte. Hinzu kommt noch, dass im Sozialismus erste und fundamentale Schritte zur Ersetzung des kapitalistischen Arbeitszwangs durch ein gesamtgesellschaftliches System anziehender Arbeit erfolgen MUSS. Wer es nicht glaubt, dem sollte Engels aus dem Grabe heraus noch den Anti-Dühring um die Ohren schlagen, denn die stalinistischen Staaten ähnelten nicht zufällig den "Sozialismus"-Vorstellungen eines Karl Eugen Dühring bis zum Verwechseln. Zufall?
4. Der Text spricht von einer Konterrevolution 1991. Dieser Einschätzung der Geschehnisse stimme ich durchaus zu, erlaube mir aber zu fragen, wer der Träger dieser Konterrevolution war. Eine auswärtige Intervention ist es ja nicht gewesen. Der Text schweigt sich darüber peinlich aus, und zwar aus gutem Grunde. Die poststalinistische Bürokratie selbst nämlich, auf die sich die Poststalinisten ausserhalb der "sozialistischen Sphäre" immer so enthusiatisch stützten, diese selbst war der Träger der Konterrevolution. Die Ironie dabei ist auch noch, dass gerade die Existenz dieser Bürokratie von den Stalinisten und Poststalinisten stets bestritten wurde. Demnach hätte also ein "Nichts" die Konterrevolution gemacht, oder wie? Und Jelzin, die Oligarchen und diese ganzen Figuren wären vom Mars gekommen oder aus einem Paralleluniversum oder was? Womit durch die wirklichen Ereignisse im übrigen die klassische These Leo Trotzkis vom grundsätzlich konterrevolutionären Charakter der stalinistischen Bürokratie schlagend bewiesen ist. Wie reden die Poststalinisten sich da raus? Hat ein "Nichts" die Konterrevolution vollzogen, waren es gar "imperialistisch verhetzte" Sektoren des Proletariats, der Weihnachtsmann oder was? Welcher Klasse/Kaste/Schicht gehörten denn die Gorbatschow, Jezin, Oligarchen, Putins usw denn nun an? Dem Proletariat? Der Bauernschaft? Einer durch magische Kräfte in die Sowjetunion hineimgebaemten "geistigen" Bourgeosie?
Nein, der Text spricht einer Konterrevolution "von innen und von oben".
Also?
5. Auch sonst strotzt der Text von gravierenden Abweichungen von den grundlegenden Ideen von Marx und Engels. Es ist definitiv falsch von einer "sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsformation" zu sprechen. Wie bitte, höre ich da fragen.
Vielleicht mal ausser den Buchtiteln auch die Inhalte lesen und vor allem verstehen. Von Marx und Engels wird nämlich MINDESTENS eine Unter- und eine Oberstufe unterschieden (wobei die Unterstufe meist als "Sozialismus" und die Oberstufe als "Kommunismus" bezeichnet wird. Die Aufgabe der Unterstufe ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel (unter Kontrolle der Klasse und nicht einer Bürokratie), die Existenzsicherung der proletarischen Klasse und die schrittweise Aufhebung der Klassen. Die Aufgabe der Oberstufe aber ist die vollständige Ersetzung der Lohnarbeit durch ein gesellschaftliches System der anziehenden Arbeit und die vollständige Abschaffung der Überreste der kapitalistischen Arbeitsteilung (Lohnsklaverei, Arbeitszwang).
Diese Durcheinandermengung von Sozialismus und Kommunismus ist nicht zufällig durch den Poststalinismus, denn nach dessen Logik (welche als Logik der subjektive Ausdruck der objektiven Interessen der untergegangenen bzw zur Neo-Bourgeosie transformierten Bürokratie ist) stellt die bürokratische Form eines "Arbeiterstaates" je ebenso das "Ende der Geschichte" dar wie der Neoliberalismus für die Apologeten des Spätkapitalismus.
Also: es ist grundfalsch, Sozialismus und Kommunismus als Gesellschaftsformation durcheinander zu werfen, weil damit wichtige Aufgaben der sozialistischen und die Wesensmerkmale der kommunistischen Gesellschaftsformation unterschlagen werden. Der in allen wesentlichen Punkten einem Dühringschen "Staatssozialismus" entsprechende bürokratisch bis zum logischen Ende (der Konterrevolution) degenerierte ehemals revolutionäre Arbeiterstaat in Russland stellt eben NICHT das "Ende der Geschichte" dar, welches einfach nur noch mal "wiederholt" werden muss.
6. Ziemlich dumm und platt ist auch die Behauptung, die "Macht" gehöre "entweder der arbeitenden Klasse oder der Klasse der Kapitalisten".
Ganz nach der Devise, es gibt nur Zweibeiner und Vierbeiner und "Vierbeiner guuut, Zweibeiner schleecht".
Unmarxistischer Blödsinn.
Welche Macht?
Die politische etwa? Und was ist mit typischen Erscheinungsformen bürgerlicher Herrschaft wie Bonapartismus, Militärdiktaturen, Faschismus usw., wo wesentliche Teile der ökonomisch dominierenden Klasse von der politischen Macht ausgeschlossen sind.
Die gewohnheitsmässige Marotte der Bürokratie, sich immer und stets selbst an die Stelle der Arbeiterklasse zu setzen, kommt wieder zum Vorschein.
"Entweder Kapitalismus oder wir".
War der Zusammenbruch der nach Dühringschen Prinzipien funktionierenden DDR durch das passive Votum der Arbeiterklasse des "Arbeiter- und Bauernstaates" keine Lehre?
Poststalinisten werden das bestreiten (denn nach ihrer Ansicht gibt es keine parasitäre Bürokratie, gab es niemals eine und die Konterrevolution 1991 kam vom Sirius oder von der Wega), aber das ist genau das, was die Mehrheit der Arbeiterklasse (zugegeben: vom bürgerlichen Wahrnehmungsmanagement bearbeitet) konstant annimmt, wenn in solcher Weise undifferenziert von "Sozialismus" und "Kommunismus" gesprochen wird.
Sozialismus/Kommunismus = Herrschaft einer kulturell und politisch weitgehend autoritären bis totalitären Bürokratie nach bestem preussischen Muster.
(Übrigens wäre auch Ferdinand Lasalle durchaus an getan gewesen von der DDR)
Ein "subjektiver Faktor", gewiss.
Aber dieser subjektive Faktor ist entscheidend für die Lösung der Führungskrise des Proletariats (dessen kollektives Bewusstein gegenwärtig noch vollständig von der bürgerlichen Medienmaschinerie kontrolliert wird).

Durch das pure Wiederkäuen der stalinischen und poststalinistischen Ideologie wird diese Führungskrise nicht gelöst, sondern nur durch die Erneuerung und Erweiterung des Marxismus angesichts der gavierenden Erfahrungen.

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