Diskussion

Donnerstag, 15. März 2012

Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle – konkretisieren!

Die Forderung nach Verstaatlichung bestimmter Sektoren des Kapitals wird in der Linken bereits wieder diskutiert, und das ist gut so.
Verstaatlichungsforderungen haben es aber auch an sich, dass sie (zu Recht) eine große Debatte hervorrufen, nämlich ob Verstaatlichungsforderungen überhaupt sinnvoll sind, denn der Staat unter den heutigen Bedingungen ist immer auch ein kapitalistischer Staat, der letzten Endes immer nur die Interessen der kapitalistischen Klasse zum Ausdruck bringt.

Bloße Verstaatlichung ist bekanntlich noch kein Sozialismus.

Ich halte nichts davon, die Formel „Verstaatlichung“ durch „Vergesellschaftung“ zu ersetzen. Zwar weist „Vergesellschaftung“ implizit auf eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus hin, in der es nur einen „absterbenden Staat“ geben wird, aber diese Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung ist noch nicht erreicht. Auf dem Weg zu diesem Ziel liegt eine Kleinigkeit – eine Revolution.

Verstaatlichung macht auch schon im Kapitalismus Sinn, aber nur, wenn sie unter der Kontrolle der Arbeiter stattfindet. Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle – das ist eine nun schon historische Forderung vor allem der trotzkistischen Strömung.

Da ich nicht alle Debatten gleichzeitig in einem Artikel führen kann, gehe ich einfach mal davon aus, dass Verstaatlichung (z.B. der Banken) unter Arbeiterkontrolle für eine essentielle Forderung halte, an der festzuhalten ist. Debatten darüber führe ich anderswo.

Mit geht es um diese aus meiner Sicht hochaktuelle Forderung.

Im Rahmen der Occupy-Bewegung ist sie immer wieder hochgekommen.

Die Losung ist richtig, aber noch nicht genügend konkretisiert.

Es gibt zum einen das schlichte semantische Problem, dass viele Arbeiter nicht verstehen, was unter Arbeiterkontrolle eigentlich zu verstehen ist.

Das darunter liegende Problem ist, dass es überhaupt unklar ist, wie Arbeiterkontrolle zu verstehen ist.

Wie soll diese Arbeiterkontrolle ausssehen? Wie wird sie organisiert? Schaut etwa den Betriebsrat der (vom kapitalistischen Staat eingesetzten) Geschäftsleitung „auf die Finger“? Viele Arbeiteraktivisten werden abwinken bei dieser Frage. „Das macht er doch sowieso (nicht)?“ Wird ein eigener Arbeiterrat zu diesem Zweck eingeführt? Wer führt ihn ein? Usw.

Es gibt eine sehr einfache Lösung, die aus meiner Sicht auch jeder Beschäftigte sofort versteht.

Und die lautet:

Wahl der Vorgesetzten durch die Beschäftigten.

Diese Forderung ist viel weniger utopisch als viele spontan denken mögen.

Denn gerade in der Hochtechnologie- und IT-Branche wurde zu den letzten Boom-Zeiten von kapitalistischen Konzernen viel experimentiert. Aus kapitalistischer Sicht steigert das die Identifikation der „Mitarbeiter“ mit ihrem Unternehmen.

Ein Beispiel von vielen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Semco_System

Jetzt in der Krisenphase ist es um solche durchaus erfolgreiche Experimente still geworden, da Vorgesetzte wieder nach dem Kriterium ausgewählt werden müssen, so skrupellos wie möglich die Vorgaben der Unternehmensleitung durchzusetzen. Da ist kein Platz mehr für „Motivation durch Identifikation“, „Humankapital Mitarbeiter“ usw.

Aber unabhängig davon ist das Prinzip der Wählbarkeit der Vorgesetzten eine jedem „Mitarbeiter“ (Arbeiter) leicht zu vermittelnde Idee, ganz grundsätzlich.

Gewiss, dem steht „die Eigentumsfrage“ entgegen.

Denn natürlich hebelt die Wählbarkeit der Vorgesetzten in einem kapitalistischen Betrieb tendenziell die Verfügungsgewalt des kapitalistischen Eigentümers über seine Produktionsmittel aus.

Nun sprechen wir von der Wählbarkeit der Vorgesetzten aber im Zusammenhang mit der Forderung nach Verstaatlichung, zum Beispiel aller Banken.

Der Staat präsentiert sich seinen Bürgern als Vertreter „der Allgemeinheit“, insofern ist Staatsbesitz im Rahmen des bürgerlichen Überbaus Gemeineigentum. Gewiss ist der Staat und sein Apparat in praxi im Kapitalismus immer ein bürgerlicher, ein kapitalistischer Staat, der durch hunderttausende von Fäden eng mit den verschiedenen Fäden der Bourgeosie verbunden ist.

Aber im Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung ist Staatsbesitz Gemeineigentum. Also, diese Schlussfolgerung aus der bürgerlichen Logik, muss das Gemeineigentum auh im Sinne der Gemeinschaft verwaltet werden.

Es geht um nichts weniger als um die Frage, wie ein verstaatlichter Betrieb davor bewahrt werden kann, den Manipulationen der Kapitalvertreter im Staatsapparat zum Opfer fallen, indem auch dieser Betrieb im Sinne des Kapitals geführt wird. Diese Frage bis nach der Revolution zu verschieben, ist nicht sinnvoll, denn dann wird sie niemals geschehen.

Verstaatlichte Betriebe wie privatwirtschaftliche Betriebe werden von Managern geleitet.

Der oder die Eigentümer geben den Managern Vorgaben, Kennzahlen oft, Ziele, die sie erreichen müssen. Management-Lehre ist keine Geheimwissenschaft, sondern eine leicht zu lernende Ansammlung von Methoden. Manager sind es gewohnt, Vorgaben umzusetzen.

Unter kapitalistischen Bedingungen bestehen diese Vorgaben in aller Regel darin, den Profit zu maximieren (das nennt sich dann Rendite).

Aber prinzipiell können es auch andere Vorgaben sein. Zum Beispiel könnte einem verstaatlichten Betrieb (z.B. einer Bank) die Vorgabe gemacht werden, kostendeckend zu arbeiten und beispielsweise zusätzlich noch zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen usw.

Ein guter Manager setzt das alles um.

Es gibt keinen Grund, warum nicht die Beschäftigten selbst diese guten Manager auswählen könnten, fachlich kompetenter dürften sie allemal sein als ein betriebsfremder eingesetzter Manager.

Die dem verstaatlichten Betrieb gemachten Vorgaben müssen natürlich Gegenstand öffentlicher Diskussion sein. Keine Geschäftsgeheimnisse, keine wirtschaftliche Geheimdiplomatie. Ein von der Belegschaft mit Mehrheit gewählter Manager ist logischerweise bestens geeignet, solche Vorgaben umzusetzen, jedenfalls besser als jeder von staatlichen Behörden eingesetzte.

Aber ein Betrieb, dessen Vorgesetzte von der Belegschaft gewählt werden, und die wiederum als Manager auf verschiedenen Ebenen öffentlich diskutierte Vorgaben erfüllen müssen, ist im Prinzip der direkten Kontrolle des Staates entzogen.

Die Mitarbeiter des Betriebes selbst sind es, die über die Einhaltung der Vorgaben wachen.

Die Forderung müsste also lauten:

Verstaatlichung (der Banken o.a.) unter Kontrolle der Arbeiter/Beschäftigten, umgesetzt durch die Wählbarkeit und jederzeitige Abrufbarkeit aller Vorgesetzten auf allen Hierarchie-Ebenen.

Die Unternehmensziele des verstaatlichten Betriebes müssen bei transparenten Geschäftsbüchern einem öffentlichen Diskurs unterliegen.


Manche mögen stutzen bei dieser Forderung.

Gewiss ist die Forderung nach Wählbarkeit der Vorgesetzten in zerfallenden Armeen (z.B. im Rahmen der russischen Revolution) in Erinnerung.
Hier löste sich das starre Stabliniensystem einer repressiven Armee in die Soldatenräte auf.
Warum gab es nicht früher schon solche Forderungen auch für (vor allem verstaatlichte) Betriebe?
Es ist einfach zu beantworten: Weil die fachliche Hierarchisierung etwa zwischen Handarbeiter und Ingenieur eine solche Vorstellung nicht zuliess.
Das hat sich in heutigen Großunternehmen, und in Banken allzumal, längst geändert.
Von den Eigentümern eingesetzte Vorgesetzte sind ihren Untergebenen in aller Regel fachlich nicht überlegen, sondern unterlegen.
Die viel gerühmten Management-Methoden, so sie nützlich sind, sind sie auch leicht erlernbar, durch die Mehrheit der Beschäftigten.

Die vorgestellte Losung hat noch einen weiteren gewaltigen Vorteil.

Sie vermittelt nämlich eine Sozialismuskonzeption, die so gar nichts zu tun hat mit den stalinistischen Schreckgespenstern, die die bürgerliche Propaganda so liebt.

Wählbarkeit der Vorgesetzten – das gab es noch nicht einmal in der DDR und wäre dort auch kaum vorstellbar gewesen.
Aber in einem High-Tech-Sektor wie den Banken ist die Wählbarkeit der Vorgesetzten allein schon aus fachlichen Gründen naheliegend.

Die Losung in dieser Form bietet also die Möglichkeit, das Ohr der Masse der einfachen Beschäftigten, die sich (noch) gar nicht groß mit Politik und ihren Kompliziertheiten beschäftigen wollen.

Wählbarkeit der Vorgesetzten – das ist ein Thema, das fast jedem Lohnabhängigen nahe geht, der dann an seine eigenen Vorgesetzten in seinem persönlichen Leben denkt und sich fragt, ob das alles nicht anders viel besser laufen würde.

Mittwoch, 7. März 2012

"Bochumer Programm"

In unserer Stellungnahme zu den Diskussionsprozessen um die NAO, initiiert durch die SIB, schrieben wir auch:
So sehr wir übrigens mit den Forderungen des Bochumer Programms sympathisieren, so wenig sehen wir dort die Möglichkeit der Einbeziehung von Krisenbetroffenen mit reformistischen illusionen gegeben.
Trotzdem halten wir das Bochumer Programm für sehr diskussionswürdig.
Aber wir halten es für wenig geeignet als Grundlage einer Einheitsfrontinitiative.

Um ein konkretes Bild darüber zu erhalten, hier der Wortlaut des Bochumer Programms:
http://www.trend.infopartisan.net/trd0911/t610911.html
Es besteht letztlich aus 14 Forderungen.
An wen sie sich im einzelnen richten, ist unklar, klar erscheint jedenfalls, dass "Kommunalisierung" einen Schwerpunkt in diesem Programm hat.
Klar sind die Forderungen sehr diskussionswürdig. Nur Stalinisten können Kommunalisierung von der Gestaltung einer Zukunftsgesellschaft ausschließen.
Aber ebenso klar ist auch, dass die Verfasser eine Strömung repräsentieren, die Kommunalisierung an die Stelle der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates stellen möchten und eine Art Syndikalismus mit marxistischer Terminologie vertreten.
Darauf deutet auch dies hier hin:
http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=6759
So diskussionswürdig ich einzelne Forderungen der Bochumer halte, so unzutreffend finde ich dieses verallgemeinernde Schema, das zwischen einem "guten Sozialismus" (dezentrale Bedarfswirtschaft) und "bösem Sozialismus" (zentral gelenkte Planwirtschaft) unterscheiden will.
Das eigentliche Thema dieses "Schemas", Stalinismusm, bleibt unausgesprochen und wird auf eine "böse" Sozialismusvorstellung zurückgeführt.
Das Schema verspricht alles und hält nichts, wird der Komplexität aller angesprochenen Themen nicht im geringsten gerecht.
Das Verhältnis von Markt und Plan, Klassenverhältnisse, Produktionsweisen, Organisation der Produktion sowie ihre Art und Weise, von alldem wird abstrahiert zugunsten einer naiven Gut-Böse-Gegenüberstellung.
Das ist die Position einer Strömung, die eine Art kommunalen Syndikalismus über alles stellt und dabei jede Menge methodischer Fehler begeht, das ist aber mit Sicherheit keine Initiative, die eine Einheitsfront herbeiführen könnte.
Diskussionswürdig sind solche Auffassungen schon, aber mehr auch nicht.
Ich bin ein engagierter Kämpfer gegen elitaristische Vorstellungen auch und gerade unter Trotzkisten, aber mit diesem Schema machen sich es die Bochumer zu leicht.
Was sie da produziert haben, ist ein Mythos: Wenn "man" nur sorgfältig jede zentralistische Planwirtschaft (egal auf welchem Gebiet und in welchem Sektor) vermeidet oder verhindert, dann gibt es auch keinen Stalinismus mehr.
Und die Frage der Überwindung des Kapitalismus und seiner zentralistischen Staatsstrukturen wird gleich gar nicht beantwortet, das soll sich im Zuge der "Kommunalisierung" wohl selbst erledigen.
NACHTRAG: Die Bochumer werfen wichtige Fragen auf (und die der Kommunalisierung gehört dazu), aber ihre eigenen Antworten darauf sind dürftig und nicht überzeugend.

Dienstag, 6. März 2012

Zur Diskussion über eine neue antikapitalistische Organisation

Ich unterstütze die Stellungnahme der Marxistischen Initiative und die darin enthaltenen Vorschläge.
http://marxismus-online.eu/display/dyn/x3f2f8a90-66f0-11e1-babf-8183d4962622/content.html
Ergänzend mochte ich das strategische Konzept der klassenorientierten Arbeiterbewegung (KOA) in die Diskussion einbringen.
http://bronsteyn.wordpress.com/2012/03/06/jeder-schritt-wirklicher-bewegung-ist-wichtiger-als-ein-dutzend-programme/

Montag, 5. März 2012

Neue antikapitalistische Organisation?

Die Marxistische Initiative hat eine erste Stellungnahme zum Papier der Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg (SIB) herausgebracht.

Wir, die Marxistische Initiative, beteiligen uns mit einiger Verspätung an der Diskussion über einen neuen Anlauf der antikapitalistischen Kräfte zur Gewinnung von Massenwirksamkeit. Die aktuelle ökonomische, politische und gesellschaftliche Großwetterlage bietet dazu reichlich Anlaß: Die aktuelle Weltwirtschaftskrise hat viele Illusionen in die Fähigkeiten des Kapitalismus zerstört, wenigstens in seinen wichtigsten Metropolen schwere Krisen vermeiden zu können. Immer weniger Menschen glauben, der Kapitalismus könne Wohlstand für alle garantieren. In immer mehr Ländern spitzen sich die Widersprüche so sehr zu, daß die im imperialistischen Zeitalter historische Alternative Revolution oder Konterrevolution greifbare Realität wird.

Die wachsende existentielle Unsicherheit immer breiterer Schichten der lohnabhängigen Bevökerung hat auch in der BRD zu einer Erschütterung des traditionellen politischen Herrschaftssystems geführt — was sich nicht zuletzt in einer Vertrauenskrise zwischen Wählerinnen und Wählern der parlamentarisch vertretenen Parteien niederschlägt, in Unzufriedenheit und dem Wunsch nach tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen. So interpretieren wir den Umstand, daß inzwischen sowohl in Ost- wie in Westdeutschland die Mehrheit der Bevölkerung Sozialismus prinzipiell für eine positive Sache hält — leider ohne deshalb ein klares Bild vom Sozialismus zu haben oder eine sozialistische Gesellschaft notwendig für realisierbar zu halten...

Hier weiterlesen:

Worüber sich die antikapitalistischen Linken verständigen sollten...

Freitag, 17. Februar 2012

Faule Arbeiter, Karl Eugen Dühring und die DDR

Ein Diskussionbeitrag von H. bei unserer letzten Schulung (Thema: Charles Fourier) brachte mich dazu, auf das Thema näher einzugehen.
H. warf die Frage auf, warum die Arbeiter in der ehemaligen DDR als eher faul angesehen und nur ansprechbar für materielle Reize gewesen waren.
Die Frage scheint mir wesentlich.
Hinzufügen möchte ich, dass ja die (eingebildeten oder realen) Konsumanreize des Westens auf der subjektiven Ebene ja auch dafür ausschlaggebend waren, dass die Mehrheit der Arbeiterklasse der DDR bei den einzigen freien Volkskammerwahlen der Geschichte dieses Staates (1990) eine Mehrheit bürgerlich-kapitalistischer Parteien herbeiführte (wobei die Ost-CDU integrierter Teil der Bürokratie war) und damit die Restauration des Kapitalismus in der DDR.
Es wäre ein Fehler, die Augen vor diesen Faktoren zu verschliessen, vielmehr müssen diese subjektiven Faktoren analysiert, gewürdigt und Schlussfolgerungen unterzogen werden.
Die Hegemonie bürgerlich-kapitalistischer Ideologie sogar über eine Arbeiterklasse, die noch nicht direkt der Herrschaft der kapitalistischen Klasse unterworfen war, deutet auf schwerwiegende Defizite der Staatsform hin, die die DDR prägte.
Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich 1990/91 mehrere Male in der Eisenacher Gegend als Dozent Umschüler der abgewickelten Firma Robotron unterrichtete und mit den Arbeitern (hochqualifizierte Informatikspezialisten) auch über die Umstände der deutschen Wiedervereinigung offen sprechen konnte. Meine Frage an die Kollegen, warum sie nach dem Zusammenbruch des Honecker-Regimes nicht verlangt hätten, die Betriebsleitungen selbst zu wählen und die (bei Robotron ja durchaus leistungs- und konkurrenzfähige) Produktion nicht selbst übernommen hätten, wie es ja sogar einzelne Sektoren der Bürokratie vorgeschlagen hatten, stiess auf Erstaunen und Verblüffung. Mir wurde gesagt, dass niemand auf eine solche „Idee“ gekommen wäre. Auch die traditionsreiche Forderung nach Bildung von Arbeiterräten war für die Kollegen, mit denen ich es zu tun hatte, völlig abstrakt.
Und es handelte sich keineswegs um besonders politisch rückständige Arbeiter, sondern um einen privilegierten und durchaus politisch vergleichsweise bewussten Teil der Arbeiterklasse.

Die Vorstellung also, in welcher Form auch immer selbstbestimmt zu arbeiten, war den Arbeitern der DDR also völlig fremd. Die Vorgänge um die Wiedervereinigung Deutschlands (unter welchen Bedingungen auch immer) reduzierte sich für die Mehrzahl der Kollegen (nicht alle) auf die Frage, wer denn „die richtigen Leute“ sein könnten, um dem „heruntergewirtschafteten“ Land auf die Beine zu helfen.
(Wir wissen ja heute, dass die DDR keineswegs so wirtschaftlich am Boden war wie die kapitalistische Propaganda behauptete, was sogar bürgerlich-kapitalistische Wirtschaftswissenschaftler bestätigten).

Die DDR und Karl Eugen Dühring

Ich habe im Rahmen meines Fourier-Vortrags darauf hingewiesen, dass die DDR in auffälliger Weise dem ähnelte, was ein Eugen Dühring so als Sozialismus-Vorstellung hatte.
So Friedrich Engels:
Und nun besehe man sich die kindliche Vorstellung des Herrn Dühring, als könne die Gesellschaft Besitz ergreifen von der Gesamtheit der Produktionsmittel, ohne die alte Art des Produzierens von Grund aus umzuwälzen und vor allem die alte Teilung der Arbeit abzuschaffen; als sei alles abgemacht, sobald nur »den Naturgelegenheiten und den persönlichen Fähigkeiten Rechnung getragen« - wobei dann nach wie vor ganze Massen von Existenzen unter die Erzeugung eines Artikels geknechtet, ganze »Bevölkerungen« von einem einzelnen Produktionszweig in Anspruch genommen werden, und die Menschheit sich nach wie vor in eine Anzahl verschieden verkrüppelter »ökonomischer Spielarten« teilt, als da sind »Karrenschieber« und »Architekten«.
Wie ist diese augenfällige Übereinstimmung der Visionen eines Eugen Dühring („ein vorlauter Zwerg“ nach F. Engels) mit der Realität der späteren DDR zu erklären?
Sicherlich nicht durch eine ideologische Verwandtschaft. Walter Ulbricht und Erich Honecker hätten mit Sicherheit voller Überzeugung und Empörung die These von sich gewiesen, Anhänger Eugen Dührings zu sein.
Aber die Unterscheidung von Karrenschiebern und Architekten gab es in der DDR eben auch, und ebenfalls, dass „ganze Massen von Existenzen unter Erzeugung eines Artikels geknechtet“ und „ganze Bevölkerungen von einem einzelnen Produktionszweig in Anspruch genommen“ wurden, wenn man allein nur an Bitterfeld denkt.

Es muss seine Erklärung darin finden, dass die DDR mit Zwangsläufigkeit sich zu etwas entwickelte, was den „visionären“ Vorstellungen eines Eugen Dühring entsprach. Eugen Dühring war (von seinem rassistischen Antisemitismus ganz abgesehen) geistig gefangen im preussischen Wilhelminismus und seinen Wertvorstellungen. Die DDR basierte letztlich auf den Trümmern des preussischen Staates und stellte in gewissem Sinn auch seine Vollendung dar, Verstaatlichungen inklusive. So ist diese Ähnlichkeit also alles andere als zufällig, wenn auch Eugen Dührings Ideen (schon gar nicht seine Rassenphantasien) keineswegs geistig prägend für die DDR war (sie sah sich selbst ja in jeder Hinsicht als marxistischen Arbeiter- und Bauernstaat).
Doch das erklärt noch nicht das Scheitern dieser „Deutschen Dühringschen Republik“ (man verzeihe mir den Hohn).
Warum war die DDR als gewissermassen Vollendung des preussischen „staatskapitalistischen Staates“ nicht wenigstens wirtschaftlich erfolgreicher als der privatkapitalistische Westen?

Kurzer Exkurs zum Staatskapitalismus

Nur um eines klarzustellen: ich vertrete keineswegs die "vulgärtrotzkistische" Theorie, wonach die gescheiterten Arbeiterstaaten quasi als Bestrafung der Bürokratie als staatskapitalistische Staaten bezeichnet werden. Staatskapitalismus ist ein notwendiges Element des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Auch Lenin verwendete diesen Begriff, um einen Sektor der sowjetrussischen Wirtschaft zu bezeichnen, und zwar eben die gerade verstaatlichte Industrie, die im wirtschaftlichen Verkehr sowohl ins kapitalistische Ausland als auch gegenüber anderen Wirtschaftssektoren ( Kleinbauern, Kulaken, Genossenschaftssektor usw) kapitalistische Formen der Produktion eben notwendigerweise fortführen musste. Aus Sicht Lenins aber handelte es sich nur um einen Übergang (die Neue Ökonomische Politik war erklärtermassen ein notwendiger Rückschritt), aber letztlich nur deswegen, um aus einer ökonomisch stabileren Situation zum „genossenschaftlichen Zusammenschluss der gesamten Gesellschaft“ übergehen zu können (Lenins letzte und leider sehr unbekannte größere Schrift „Über das Genossenschaftswesen“).

Wenn also Staatskapitalismus ( der Arbeiterstaat – ob bürokratisch oder nicht - tritt auf dem Weltmarkt als staatlicher Kapitalist auf) ein notwendiges und unvermeidliches Element beim Übergang in den Sozialismus ist (und diese These vertrete ich sehr wohl, weil es allein schon unsinnig wäre, sie zu bestreiten), so muss trotzdem der Arbeiterstaat den Übergang zu einer Wirtschaftsform organisieren, die jenseits auch des Staatskapitalismus liegt.
Eine Aufgabe, von der Lenin zu Recht der Meinung war, dass Russland sie nicht allein schaffen könne.

Aufgabe der Umgestaltung des Apparates

Die modernsten kapitalistischen Produktionsmethoden mussten in der jungen Sowjetunion überhaupt erst noch eingeführt werden (jedenfalls in aller Breite), an auch ihre Überwindung war noch gar nicht zu denken.
Jedoch 1923 propagierte Lenin dringend und drängend:

Jetzt haben wir das Recht zu sagen, daß das einfache Wachstum der Genossenschaften für uns (…) mit dem Wachstum des Sozialismus identisch ist, und zugleich müssen wir zugeben, daß sich unsere ganze Auffassung vom Sozialismus grundlegend geändert hat. Diese grundlegende Änderung besteht darin, daß wir früher das Schwergewicht auf den politischen Kampf, die Revolution, der Eroberung der Macht usw. legten und auch legen mußten. Heute dagegen ändert sich das Schwergewicht so weit, daß es auf die friedliche organisatorische "Kultur"arbeit verlegt wird. Ich würde sagen, daß sich das Schwergewicht für uns auf bloße Kulturarbeit verschiebt, gäbe es nicht die internationalen Beziehungen, hätten wir nicht die Pflicht, für unsere Position in internationalem Maßstab zu kämpfen. Wenn man aber davon absieht und sich auf die inneren ökonomischen Verhältnisse beschränkt, so reduziert sich bei uns jetzt das Schwergewicht der Arbeit tatsächlich auf bloße Kulturarbeit.
Was könnte Lenin nur mit „Kulturarbeit“ (auch noch „friedliche organisatorische“) gemeint haben?
Vor uns stehen zwei Hauptaufgaben, die eine Epoche ausmachen. Das ist einmal die Aufgabe, unseren Apparat umzugestalten, der absolut nichts taugt und den wir gänzlich von der früheren Epoche übernommen haben. Hier ist ernstlich etwas umzugestalten, das haben wir in fünf Jahren Kampf nicht fertiggebracht und konnten es auch nicht fertigbringen. Unsere zweite Aufgabe besteht in der kulturellen Arbeit für die Bauernschaft.
Hier drückt sich Lenin nicht sehr exakt aus, die Schrift war wohl in grosser Eile entstanden. Von welchem Apparat spricht er? Offensichtlich nicht nur dem politischen, sondern auch dem wirtschaftlichen.
„Unser Apparat“ taugt nichts, schreibt er, weil er gänzlich von der früheren Epoche übernommen worden ist.
Es ist hier wichtig, den Begriff des Apparates genauer unter die Lupe zu nehmen. Einen Apparat besitzen nicht nur Staaten und Parteien, auch jeder kapitalistische Betrieb besitzt einen (Verwaltungsapparat).

Organisationsstruktur der Produktionsweise im Kapitalismus

Von Apparaten spricht man dann, wenn es sich um sogenannte Linienorganisationen oder Stab-Linien-Organisationen handelt.
Eine Linienorganisation besteht aus klaren und einheitlichen Weisungsbefugnissen auf jeder Ebene. Jeder Mitarbeiter eines Unternehmens weist eine Verbindung zu einer höheren Ebene auf. Gegenüber dieser muss sich jeder Mitarbeiter verantworten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Linienorganisation
Im Grunde hatte die junge Sowjetunion die Stab-Linien-Organisation, theoretisch vom Schöpfer der kapitalistischen Managementlehre, Henry Fayol, erst 1916 als Konzept ausgearbeitet, als damals modernste Konzeption übernommen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Henri_Fayol
Die DDR hatte im Grunde das kapitalistische Stab-Linien-System als Organisationsstruktur der Industrie vom Kapitalismus in vollem Umfang übernommen.
Hier ist ein kleiner Ausflug in die Betriebs-Organisationslehre zu unternehmen. Die Stab-Linien-Organisation wurde zu Beginn der Industrialisierung direkt und unmittelbar aus dem Militärwesen übernommen, denn dort hatte es sich im Laufe der Neuzeit als effizienteste Organisationsstruktur des Militärs erwiesen. Es definiert als entscheidendes Merkmal eindeutige Führungsfunktionen top-down, also von oben nach unten. Führungskräfte haben jeweils eine klar definierte Anzahl von Untergebenen, denen gegenüber sie weisungs-, im Militär sogar befehlsbefugt sind. Die Hierarchie einer Stab-Linien-Organisation verästelt und differenziert sich von oben nach unten. Stäbe, also Gruppen von Beratern, arbeiten hierbei jeweils einer Führungsperson zu, der Begriff Stab ist eine direkte Übernahme aus dem Militärwesen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stabsabteilung
Die Stablinienorganisation stellt eine Erweiterung der Einlinienorganisation dar.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stablinienorganisation
Die Stab-Linien-Organisation hat eine Reihe von Nachteilen hinsichtlich ihrer Effizienz, das bekannte und populärste Problem ist das sogenannte Peter-Prinzip.
http://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Prinzip
Von daher ist es nicht zufällig, dass die kapitalistischen Konzerne sich schon früh Gedanken über Alternativen zum Stab-Linien-System machten. Eine Alternative der Aufbauorganisation (= die Lehre vom Organisationsaufbau eines Betriebes) bot sich in der sogenannten Matrixorganisation an, die mindestens eine volle Hierarchieebene „einklappt“ und im Sinne kapitalistischer Verwertungsprozesse flexibler ist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Matrixorganisation
Besonders grosse kapitalistische Konzerne stellen sogar mehrdimensionale Matrixorganisationen dar, was Tensororganisation genannt wird.
http://de.wikipedia.org/wiki/Tensororganisation

Organisationsstruktur der Produktionsweise in der DDR

Zurück zur DDR und zu den (politisch) gescheiterten Arbeiterstaaten.
Weder Matrix- noch Tensororganisationen waren in der DDR (oder in anderen kapitalistisch restaurierten Arbeiterstaaten) bekannt, allein die Vorstellung, dass es eine Alternative zur Stab-Linien-Organisation geben könnte, existierte nicht. Sowjetrussische Kombinate etwa wiesen eine solch hohe Anzahl von Hierarchieebenen auf, wie sie für keinen multinationalen kapitalistischen Konzern noch tragbar gewesen wäre.

Karrenschieber und Architekten

Selbst in trotzkistischen Gruppen und Strömungen (die sich in aller Regel nicht mit solchen schnöden Dingen wie Organisation der Produktionsweise herumschlagen) existiert eine absolute Fixierung auf die Stab-Linien-Organisation, obwohl diese selbst für die mächtigsten kapitalistischen Konzerne obsolet geworden und durch ein- oder mehrdimensionale Matrixorganisationen ersetzt worden ist.
Die Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft erschöpfen sich meist darin, abstrakt von einer Räterepublik zu sprechen.
Damit ist aber nichts gesagt über die Organisationsform grosser industrieller Betriebe, der Basis, der Produktionsweise. Bleibt es bei der Unterscheidung von „Karrenschiebern“ und „Architekten“ (Engels) oder nicht? Und wenn nicht, durch was wird das Karrenschieber-Architekten-Linienprinzip ersetzt, und in welchem Zeitraum und mit welchen Übergangsstufen?
Gewiss ist die Forderung nach einer Räterepublik unbedingt richtig, aber ist sie auch hinreichend, um die Struktur einer sozialistischen Gesellschaft zu beschreiben?

Ich meine, dass das nicht der Fall ist.
Arbeiterräte erschienen bislang immer nur in jeweilig kurzen historischen Phasen (die vielen Beispiele zu nennen erspare ich mir), sie wurden bisher stets entweder von der kapitalistischen Konterrevolution zerschlagen oder vom bürokratischen Thermidor aufgefressen, was freilich nichts an der Frage ihrer Relevanz ändert.
Aufgabe der Räte soll sein, die kapitalistische Staatsmaschine zu zerschlagen und durch etwas zu ersetzen, das „eigentlich kein Staat mehr ist“, der immer wieder genannte „absterbende Arbeiterstaat“.

Räte und umzuwälzende Strukturen

Nun sind Räte ja letztlich nichts weiter als jederzeit abwählbare Delegierte „der Arbeiter“, aber die Frage, welches die menschlichen Grundstrukturen dieser gewählten Delegierten sind, bleibt trotzdem offen.
Gewiss, Fabriken sollen Fabrikräte wählen, militärische Einheiten Soldatenräte, aufständische Stadtteile Stadtteil-Räte, aber in allen Fällen handelt es sich um vom Kapitalismus ererbte Strukturen. Dies ist der Fall sowohl bei der Fabrik oder dem Unternehmen, der militärischen Einheit oder eines Wohnbezirks.

Aber genau diese Strukturen müssen ja umgewälzt werden, jedenfalls wenn man Friedrich Engels in seiner Polemik gegen Dühring folgt. Es darf nicht dabei bleiben, dass es für immer „Karrenschieber“ und „Architekten“ gibt (und damit Stab-Linien-Organisation als ewiges Prinzip).

Davon war die DDR allerdings weit entfernt, wie wir alle wissen. Basis und Überbau entsprachen vollständig den vom Kapitalismus ererbten Strukturen, hinkten sogar der Fortschritts-Entwicklung des niedergehenden Spätkapitalismus hinterher (Matrix- und Tensororganisation).

Das System der überlappenden Gruppen von Rensis Likert

Gibt es denn Alternativen zur Stab-Linien-Organisation, die (von Matrixorganisationen abgesehen) in der Lage wären, konstituiv die Wirtschaftsorganisation im Sozialismus zu beschreiben, darzustellen und zu konzipieren?
Die gibt es, Dr. Rensis Likert hat eine solche entwickelt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Rensis_Likert
Rensis Likert ist von seiner Vita her ein ganz gewöhnlicher bürgerlicher Sozialforscher. Er beschäftigte sich damit nicht nur die Nachteile des Stab-Linien-systems, sondern auch der Matrixorganisation zu überwinden.
Er schlug vor, eine Organisationsstruktur grundsätzlich in Teams zu beschreiben und die jeweiligen Vorgesetzten (Teamleiter) in Link-Teams zusammenzufassen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Linking-Pin-Modell
zitiert von dort:
Als Kritikpunkt kann erwähnt werden, dass dieses Modell oft nur den Top-Down-Ansatz verfolgt und eine Kommunikation Bottom-Up entweder nur schwer, durch lange Verzögerungen geprägt oder gar nicht möglich ist.
Das ist sicherlich, aber auch nur teilweise, richtig, denn Likert war eben ein bürgerlicher Soziologe, der vom Standpunkt der organisatorischen Effizienz das Thema betrachtete, und unter kapitalistischen Verhältnissen ist das eben der Standpunkt des Kapitaleigentümers.
Doch die Kritik übersieht, dass Likerts Linking-Pin-Modell grundsätzlich ebenso gut in der Lage ist, Bottom-Up-Beziehungen zu beschreiben und zu strukturieren.
Wenn die Mitglieder der Link-Teams nämlich gewählte und jederzeit abwählbare Delegierte ihrer Basisteams sind, dann beschreibt das Likertsche Modell im Prinzip ein durch alle Entscheidungsebenen durchgängiges Räte-System.
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/ueberlappende-gruppen.html
In der kapitalistischen Managementlehre spielt Likerts Linkin-Pin-Modell (auch das System der überlappenden Gruppen genannt) im Angesicht der neoliberalen Offensive kaum noch eine Rolle. Likert selbst starb schon 1981. Sein Modell wirkt wie ein theoretischer Überbau, für den es noch keine wirkliche Basis gibt (ebenso wie es für Fouriers Konzept der anziehenden Arbeit im Frankreich des 19. Jahrhunderts noch keine wirkliche materielle Basis gab).
Es verhält sich damit ähnlich wie mit Ada Lovelace, die die Grundsätze des Programmierens entwickelte, noch bevor es Computer gab.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ada_Lovelace
Gewiss, Likert war kein Sozialist, aber Ada Lovelace war auch keine Programmiererin.

Sein Linkin-Pin-Modell stellt aber im Prinzip eine Metasystem dar, das sowohl Stab-Linien-Organisationen als auch „basisdemokratische“ vernetzte Gruppenmodelle gleichermassen darstellen kann, sowie alle nur denkbaren Übergänge und Zwischenstufen.

Lücke in der Theorie des Sozialismus

Generell, so möchte ich sagen, hat die gesamte Linke das schwere Erbe vom Stalinismus übernommen, sich um derartige Fragen gar nicht zu scheren (Linienorganisation reichte dem Stalinismus völlig).
Darüber soll man sich „nach der Revolution“ (gewissermassen am jüngsten Tag) erst Gedanken machen.
Auch Trotzkisten sind letztlich (in Ermangelung besserer Ideen) mit ihrer Reduktion auf die (sicherlich richtige) Räte-Forderung im Bann stalinistischer Konzepte geistig gefangen, denn es bleibt bei der Vorstellung, irgendwelche gewählten Räte würden die vorhandene wirtschaftliche Maschinierie einfach übernehmen und im Sinne „der Arbeiter“ lenken können.
Zum einen klappte das letzten Endes bei den gescheiterten Arbeiterstaaten auch nicht, zum anderen fehlt dadurch aber jede attraktive Vision für Millionen von Arbeiter auf ein besseres und erfüllteres Leben in der Arbeitswelt. Was schert den unpolitischen Durchschnittsarbeiter letztlich, ob es ein „Kapitalist“ oder ein „Sozialist“ ist, der ihm ein Drittel seines Arbeitstages kommandiert?

Wenn wir aber das Stab-Linien-Modell und ebenso seine Modifikationen durch die Matrixorganisation aber als wesentliche Strukturmodelle der kapitalistischen Gesellschaft begreifen, dann wird offensichtlich, dass sie beide ersetzt werden müssen durch Strukturmodelle, die dem Wesen des Sozialismus besser entsprechen, und seinen wesentlichen Merkmalen, das sind u.a. Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Ausübung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, genossenschaftliche Ordnung, Existenzgarantie für die besitzlose Klasse, breite Demokratie der besitzlosen Klasse usw.

Wählbarkeit der Vorgesetzten

In der betrieblichen Hierarchie kann das nur bedeuten, dass letzten Endes (als Vollendung des Sozialismus) grundsätzlich alle Vorgesetzten wählbar sein müssen.
Überrascht?
Wieso?
Auch die Auflösung der konterrevolutionären Militärarmeen mit ihren Stab-Linien-Organisationen erfolgt historisch traditionell durch die Wahl der Vorgesetzten durch die Soldaten (Soldaten-Räte in Russland, Deutscland usw. am Ende des 1.WK).

Das Prinzip der Wählbarkeit der Vorgesetzten ist selbst dem Kapitalismus nicht so gänzlich fremd wie es erscheint. In der Boom-Phase der Informationstechnologie gab es durchaus Experimente verschiedener IT-Konzerne mit diesem Prinzip, freilich gegenüber einer privilegierten, weil hochqualifizierten Gruppe von Arbeitern. Freilich ging diese Wählbarkeit niemals bis in die Ebene des Top-Management.
Vereinzelt erheben auch Reformisten, wenn sie besonders mutig sind, die Forderung nach Wahl der Vorgesetzten in den Betrieben. Unter kapitalistischen Bedingungen muss eine solche isolierte Forderung natürlich notwendigerweise versanden.
Aber es ist wichtig, der Arbeiterklasse heute klar zu sagen, dass die Durchsetzung der Wählbarkeit der Vorgesetzten ein wichtiges und sehr zentrales Ziel im Sozialismus sein wird. Das wird den authentischen Sozialismus, wie wir ihn vertreten, auch sehr klar und deutlich von allen stalinistischen und post-stalinistischen Konzepten unterscheiden.
Für jedes Mitglied der Arbeiterklasse ist diese Frage sogar von höchst vitalem Interesse. Millionen leiden unter Vorgesetzten, von denen sie drangsaliert und schikaniert werden, und zu Recht werden die meisten Arbeiter sagen, es sei ihnen egal, ob ihr „kleiner Tyrann“ (Castaneda) ein Sozialist oder ein Kapitalist sei.

Demokratisierung der (vergesellschafteten) Betriebe

Wie verträgt sich die Vergesellschaftung der Produktionsmittel mit dem Prinzip der Wählbarkeit der Vorgesetzten in den Betrieben?
Unter der Bedingung, dass ein Betrieb wirklich in Gemeineigentum übergegangen ist, verschwindet dieser mögliche Widerspruch durch geeignete Maßnahmen und klare Definitionen von selbst.
Natürlich darf auch die Top-Ebene eines vergesellschafteten Betriebes keine völlige Entscheidungsfreiheit über alle wirtschaftlichen Entscheidungen haben, auch dann nicht, wenn er von der Belegschaft gewählt ist.
Manager sind von Natur aus gewohnt, Vorgaben zu erfüllen. Unter kapitalistischen Bedingungen bestehen diese Vorgaben fast immer darin, den Profit zu maximieren.
Aber das ist nicht naturnotwendigerweise so. Die Vorgabe kann etwa auch lauten, kostendeckend zu wirtschaften und zusätzlich gesellschaftliche Leistung seitens des Betriebes zu erbringen. Oder bestimmte technische Innovationen zu entwickeln. Oder Arbeitszeit einzusparen und (ohne Entlassungen) freie menschliche Arbeitskraft zu erzeugen.
Die Erfahrungswissenschaft Management-Lehre ist zwar unter kapitalistischen Verhältnissen geboren worden, aber sie besteht letztlich aus einem Sammelsurium an Methoden, die auch für die breiten Massen erlernbar sind.
Ein Ackermann zeichnet sich nicht durch eine besondere Intelligenz, sondern nur durch besondere Skrupellosigkeit aus. Es bedarf keine besonderen Intelligenz, um Management-Methoden ( z.B. Netzplantechnik, Aufgabenanalyse, Prozessanalyse) zu erlernen und anzuwenden.
Allerdings wird sich die Funktion der Management-Lehre im Sozialismus entscheidend verändern. Nicht mehr „Erzieher und Erzogene“ wird es geben, sondern eine transparente Anwendung geeigneter Methoden zur Erreichung gesamtgesellschaftlich (durch Räte) definierter Ziele.
Mit dieser Klarheit, also der Definition quantifizierbarer Vorgaben für jeden vergesellschafteten Betrieb, ist auch eine vollständige Wählbarkeit der Vorgesetzten bis in die Ebene des Top-Managements denkbar und möglich.
Idealerweise werden von den Belegschaften diejenigen Top-Manager gewählt, die am innovativsten und rationellsten die gesamtgesellschaftlichen Vorgaben durch ihre Führung realisieren. Es gäbe dann auch sicherlich so etwas wie populäre Top-Manager, was es im Kapitalismus auf die Dauer nicht geben kann (sogenannter charismatischer Unternehmensführer). So etwas ist erst im Sozialismus denkbar.

Arbeit war nicht anziehend im Arbeiterstaat

Kommen wir noch zum Thema der anziehenden Arbeit.
Es gab in der DDR-Bürokratie nicht die geringsten Ansätze, das Prinzip der anziehenden Arbeit wenigstens in Versuchsmodellen zu erforschen, noch weniger hatten, wie wir wissen, die DDR-Arbeiter auch nur eine Vorstellung davon.
Die perfekte Übernahme (sogar veralteter) kapitalistischer Organisationsprinzipien in der Wirtschaft führte dazu, dass jedes Streben der Arbeiterklasse auf finanzielle Anreize und Konsum orientiert war (womit die Bürokratie sich letztlich ihr eigenes Grab schaufelte).
Lust auf Arbeit wird nicht durch sterile Propaganda gefördert, sondern dadurch, dass den Arbeitern die Möglichkeit gegeben wird, ihren Neigungen zu folgen und ihre Leidenschaften zu entfalten.
Klar ist das etwas, was nicht innerhalb von Tagen oder Wochen zu erreichen ist, sondern sich über eine ganze Epoche erstrecken muss.
Aber weder bei der Bürokratie der DDR noch bei den Arbeitern gab es wenigstens eine Vorstellung davon.
Dabei hätte es in der DDR zumindest Möglichkeiten gegeben, das Prinzip der anziehenden Arbeit wenigstens in Teilbereichen zu untersuchen und zu erforschen. Denn bürokratischen Leerlauf und (wie es die kapitalistische Propaganda nannte) „versteckte Arbeitslosigkeit“ gab es ja sowieso. Dabei wäre auch wichtig gewesen, die Erforschung der anziehenden Arbeit nicht nur „top-down“ durch die Elite vornehmen zu lassen, sondern alle daran zu beteiligen.
„Erforschen wir, wie anziehende Arbeit und notwendige Arbeit zur Deckung gebracht werden können!“ wäre eine sinnvolle Losung gewesen.
Klar war das unter den bürokratischen Bedingungen der DDR, wo die Elite die Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse geradezu fürchten musste, nicht möglich gewesen. Aber es sind politische Bedingungen, die das verhinderten, die materiellen Möglichkeiten bestanden sehr wohl.

Das Verhältnis von anziehender Arbeit und finanziellen Anreizen

Die neoliberale Wirtschaftsphilosophie (Mises, Hayek) geht davon aus, dass der Mensch nur durch finanzielle Anreize zu bewegen ist, nützlich (im Sinne der Kapitalverwertung) zu arbeiten. Denn nur durch Geld können die Menschen sich diejenigen Güter beschaffen, die sie zu ihrer Bedürfnisbefriedigung (zu ihrem Glück) brauchen. Teilweise befürworten sogar einige (wie Hayek) ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, um den rein finanziellen Anreiz (für das Kapital zu arbeiten) zur vollen Entfaltung zu bringen.
Ironischerweise basierte das Weltbild der stalinistischen Bürokratie auf dem gleichen Menschenbild.
Doch der Ansatz ist falsch. Es gibt kein natürliches Bedürfnis des Menschen nach Geld, nach Tauschmittel. Nicht nur kann man Geld nicht essen, wie schon die Beatles sangen, auch Liebe kann man mit Geld nicht kaufen.
Charles Fourier wies die Vielfältigkeit der Leidenschaften auf: nicht nur sinnliche Konsumlust (bei ihm durchaus positiv bewertet) ist es, was sie antreibt, sondern auch der Wunsch nach sozialen Kontakten, nach Freundschaften, nach Austausch, nach Kultur, nach Liebe, nach Sexualität, nach Anerkennung, nach ehrgeizigem Erreichen selbst gesteckter Ziele usw usw.
Ein natürliches Bedürfnis nach Geld (Tauschmittel) aber gibt es nicht, Geld ist stets das Mittel, um sich benötigte Dinge oder Dienstleistungen zu kaufen.

Von daher ergibt sich, dass die Rolle des Geldes notwendigerweise sinken muss, wenn die gesellschaftliche Organisation durch ihre Struktur und Funktionsweise die Möglichkeit bietet, die Bedürfnisse zu befriedigen und den eigenen Neigungen zu folgen, auch wenn man dazu nicht Dinge oder Dienstleistungen kaufen muss.

Von daher ergibt sich durchaus eine Polarität zwischen anziehender Arbeit und Arbeit aufgrund finanziellen Anreizes im Sozialismus. Die Arbeit aufgrund des finanziellen Anreizes ist in jeder Hinsicht ein Erbe des Kapitalismus, geboren letztlich aus dem Arbeitszwang aufgrund existenzieller Not.
Die DDR, die sich ausschließlich auf Arbeitszwang und finanziellem Anreiz verließ und die anziehende Arbeit in keiner Weise beachtete, war deshalb auf Gedeih und Verderb an den Kapitalismus gekettet, was letztlich zu ihrem Untergang führte.

Im Unterschied zum gescheiterten Arbeiterstaat DDR (denn ein – bürokratisch entsetzlich deformierter – Arbeiterstaat war sie schon) wird ein sozialistischer Staat der Zukunft alles tun, um das Gewicht der anziehenden Arbeit gegenüber der Arbeit aufgrund finanzieller Anreize zu stärken. Klar wird es gerade in der Anfangsphase nicht anders gehen als auch mit dem Mittel des finanziellen Anreizes zu arbeiten. Doch der zentrale Anreiz (!) dieses wahrhaft sozialistischen Arbeiterstaates muss es sein, der anziehenden Arbeit immer breiteren Raum zu schaffen, von kleinen Ansätzen angefangen, bis hin zu grossen komplexen Organisationen (basierend auf dem Prinzip der Fourierschen Arbeitsbörse), die den Tätigkeitsdrang der Menschen nützlichen und notwendigen Arbeiten zuführt.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Übernahme bereits veralteter kapitalistischer Organisationsmethoden und die völlige Ignorierung des Prinzips der anziehenden Arbeit ursächlich dafür war, dass die DDR-Arbeiter trotz intensivster Propaganda der stalinistischen und poststalinistischen Eliten sich mehrheitlich mit diesem Staat nicht identifzierten und in der kapitalistischen Restauration mit ihren Konsumversprechen letztlich das kleinere Übel sahen.
Dies hatte aber seinen Grund letztlich darin, dass die DDR in allen ihren Strukturmerkmalen von den Organisationsstrukturen und Methoden des Kapitalismus geprägt war (selbst wenn es leicht abgeschwächt war) und ein Übergang zu einer höheren Stufe noch nicht einmal angedacht war.

Arbeitszwang und finanzieller (Konsum-)Anreiz hatten sich deswegen durchgesetzt, weil die DDR gar keine Alternative dazu anzubieten hatte. Jede denkbare Alternative hätte das Monopol der Bürokratie in Frage gestellt. So beging sie politischen Selbstmord, indem sie sich den restaurativen Interessen des kapitalistischen Westens bedingungslos unterwarf. Die Arbeiterklasse der DDR zu mobilisieren, schon gar nicht für deren eigene Interessen, dazu war sie nicht in der Lage. Wesentliche Träger der Restauration gingen unmittelbar und direkt aus Fraktionen der Bürokratie hervor (vor allem die Kirchen und die Ost-CDU).
Diese erwiesen sich als erfolgreiche Chamäleons und gingen bruchlos von der poststalinistischen in die kapitalistische Bürokratie über, wobei als herausragende und durchaus typische Repräsentanten dieses Typ Merkel und Gauck genannt seien.

NACHTRAG 19.2.2012
Zum Thema Wählbarkeit der Vorgesetzen sei auf das sogar im kapitalistischen Maßstab überraschend erfolgreiche SEMCO-System verwiesen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Semco_System
Hierbei ist bedeutsam, dass SEMCO (eine AG bzw S.A.) auf dem Markt als ein durchaus rein kapitalistisches Unternehmen funktioniert. Auch ist der faktische Inhaber des Unternehmens, Ricardo Semler, nichts anderes als ein besonders kreativer Angehöriger seiner Klasse.
Aber dass ein rein kapitalistischer Betrieb das Prinzip der Wählbarkeit der Vorgesetzten nicht nur umgesetzt, sondern mit wirtschaftlichem Erfolg durchgesetzt hat, zeigt, dass das Prinzip der Wählbarkeit aller Vorgesetzten erst recht in einem sozialistischen (vergesellschafteten) Betrieb erfolgreich umgesetzt werden könnte. Auf den Betrieb bezogen würde die Gesamtgesellschaft, repräsentiert durch die Institutionen der Räterepublik, die Rolle des Unternehmers bzw der Anteilseigner einnehmen und die die allgemeinen Richtlinien und Strategien des Betriebes bestimmten und am besten auch quantitativ festlegen.
In diesem Rahmen würde die Wählbarkeit der Vorgesetzten tendenziell eine an den entsprechenden Richtlinien und Strategien orientierte effiziente Führungsstruktur hervorbringen.

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