Mittwoch, 9. Januar 2013

naO-Diskussion: Vorschlag für ein Essential "Ökosozialismus"

Ökologie und revolutionäre Politik

Die Menschheit ist Teil der Natur. Ihre Entwicklung vollzieht sich im Austausch und in Wechselwirkung mit ihr. Aber dieser Austauschprozeß findet in entfremdeter Form statt, die Menschheit ist sowohl ihrer eigenen wie der außermenschlichen Natur entfremdet und in allen bisherigen Gesellschaftsformationen findet der Austauschprozeß mit der Natur chaotisch, ungeplant und im Wesentlichen ohne Kenntnis der Auswirkungen der Eingriffe in Naturkreisläufe statt.
Die kapitalistische Wirtschaftsweise hat diese Entwicklung umfassend auf die Spitze getrieben. Die andauernde Existenz des Kapitalismus hat die Menschheit an den Rand einer ökologischen Katastrophe geführt. Der Vorrang von Individualinteressen im Kapitalismus bedeutet Raubbau an der Natur aus Prinzip und bedeutet zugleich die Unvereinbarkeit des Kapitalismus mit einem nachhaltigen Umgang mit der menschlichen wie der außermenschlichen Natur. Eine Produktionsweise, die u.a. auf den beschleunigten Verbrauch fossiler Energieträger setzt, nimmt nicht nur Kriege zur Sicherung der knappen Energievorräte in Kauf, sie bedroht das Klima und ist ein Verbrechen an künftigen Generationen.
Die Entfesselung der materiellen Produktion und des materiellen Konsums wird so immer mehr zu einer massiven Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur der Menschheit. Die Klimaerwärmung droht in eine Klimakatastrophe zu kippen. Der Stickstoffkreislauf ist massiv bedroht. Das Artensterben hat einen kritischen Punkt überschritten. Die atomare und chemische Verschmutzung hat längst einen für Flora und Fauna Existenz gefährdenden Grad erreicht. Da es ein ‚Weiter so!’ nicht geben darf, muß ein Bruch mit den alten Formen des Umgangs mit der Natur erfolgen. Der Bruch mit dem herrschenden ‚Mensch-Natur-Verhältnis’ muß daher Teil von Programmatik und Praxis einer neuen antikapitalistischen Organisation sein.
Dabei kritisieren wir alle Lösungsvorschläge wie ‚Zurück zur Natur!’ und Theorien über angeblich sich selbst genügenden kleinen lokalen oder regionalen Wirtschaftskreisläufen oder von ‚Konsumverzicht’ und ‚Gürtel enger schnallen’. Diese Vorschläge nennen Roß’ und Reiter nicht und eröffnen damit auch keine Perspektive. Erst recht solche seltsamen Überlegungen, die behaupten, daß es reichen würde, zerstörerische Technologien nur unter ausreichend demokratische Kontrolle zu stellen, damit sie ihren Charakter verlieren. Diese und ähnliche Überlegungen berücksichtigen nicht die globale Vergesellschaftung, die auch die Naturzerstörung nur in ihrer Totalität überwinden kann. Darum gilt es heute, die Kämpfe gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen umfassend zu unterstützen. Die entscheidende Lösung der ökologischen Krise ist nicht im Bereich der Konsumtion (Recyclingwirtschaft, Konsumverzicht, Bedürfnisregulierung) zu suchen, sondern im Bereich der Produktion (lineare Fertigung kontra Kreislaufwirtschaft.
Für uns ist die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit nicht eine von vielen zu lösenden Aufgaben, sondern Voraussetzung ihrer Existenz. Wir wissen aber auch, daß es sich um eine Aufgabe handelt, die auf der Basis der Anarchie der Warenproduktion, d.h. im Kapitalismus, grundsätzlich nicht lösbar ist. Profitwirtschaft und Aufrechterhaltung ökologischer Kreisläufe schließen sich mikroökonomisch, volkswirtschaftlich und weltwirtschaftlich aus. Voraussetzung eines Gleichgewichts zwischen menschlicher Gesellschaft und außermenschlicher Natur ist eine selbstverwaltete Planwirtschaft, die auf demokratischer Grundlage über Ressourceneinsatz und -verbrauch, Technologiefolgenabschätzung und die Produktionsziele (Produkte) entscheidet.
Der Kampf für eine ökologische Politik ist deshalb untrennbar mit dem Kampf für Sozialismus verbunden. Insofern – ist die ökologische Frage letztendlich primär eine Klassenfrage.


Postscriptum
(nur zur Kenntnis und nicht Bestandteil des Vorschlags für das Essential „Ökosozialismus“):

Folgende Sofort- und Übergangsforderungen hat die MI im Jahre 2006 im Bereich Ökologie für sinnvoll und bündnisfähig gehalten:
-die Einführung einer staatlichen Umweltverträglichkeitsprüfung für alle neuen Produkte;
-ein Verbot der gentechnischen Veränderung von Lebensmitteln
-ein Verbot der Klontechnologie und der Gen-Veränderungen am Menschen
-Vorrang für erneuerbare Energien, Verstaatlichung bzw. Kommunalisierung der Energiewirtschaft sowie die Abschaffung der Energiesubventionierung für die Großindustrie;
-kostenloser, steuerfinanzierter öffentlicher Personen-Nahverkehr, als Beginn eines ökologischen Umbaus;
-die Rückverlegung des Güterverkehrs auf die Schiene und das (vorhandene) Wasserstraßennetz durch Maximalsubventionierung bzw. Steuererleichterungen sowie die Zurückdrängung des Flugverkehrs auf Kurzstrecken.


Auszug aus der naO- Diskussion:


Oliver FourSeasons sagt:
19. Dezember 2012 um 16:09
Zur Einordnung: Was bisher geschah…

In der Essential-Diskussion im NaO-Prozess wurde unlängst ein neuer Vorschlag von der SoKo unterbreitet. In diesem wurde ein Essential vorgeschlagen, das in den vorherigen Texten nicht vorkam, mit der Überschrift „ökologischer Bruch“. Bei dem darauf folgenden Treffen der Essential-AG wurden dann einige Vorbehalte an der Formulierung geäußert und Dieter von der MI wurde beauftragt, einen Entwurf zu schreiben, der die Vorbehalte mit aufnimmt. Dieser Text ist in diesem Artikel dokumentiert. Noch während der Text geschrieben wurde, beschloss die Essential-AG in einer weiteren Sitzung ein verändertes Vorgehen: Es sollten zunächst bisherige Dissense und jetzt-schon-Konsense zu allen Essentials getrennt aufgelistet werden, um eine Übersicht und eine Eingrenzung der Diskussion zu ermöglichen. Diese Aufgabe habe ich im ersten Schritt wahrgenommen. Allerdings schien mir in den bisherigen Texten von SoKo und MI recht wenig zumindest dem Wortlaut nach konsensfähig, weshalb ich das, was ich für Konsense halte, neu formuliert habe. Weil ich aber nicht gleichzeitig eine Begründung abgeliefert habe, warum ich die Dissense für Dissense halte, konnte für SoKo und MI nicht einsichtig sein, warum so viel aus ihren Texten nicht mit aufgenommen wurde. Den Anfang einer Begründung habe ich in einer Mail versucht und Jürgen von der SoKo hat reagiert.

Der bisherige Verlauf der Diskussion soll hier mit allen Texten dokumentiert werden, um die weitere Diskussion zu eröffnen. Die Texte sind die folgenden:

1. Essential Ökologischer Bruch (SoKo)
2. Neuformulierung Essential Ökosozialismus von Dieter (MI)
3. Konsens-/Dissens-Vorschlag von Oliver (pærıs)
4. Präzisierung des vermuteten Dissenses von Oliver (pærıs)
5. Gegenposition zu Oliver von Jürgen (SoKo)
6. Gegenposition zu Jürgen von DGS (SIB)
7. Gegenposition zu DGS von Frank (SoKo)

1. Essential Ökologischer Bruch (SoKo)

Dieser Text ist hier zu finden.

2. Neuformulierung Essential Ökosozialismus von Dieter (MI)

Dieser Text ist dieser Artikel, zu dem mein Kommentar hier Kommentar gepostet ist.

3. Konsens-/Dissens-Vorschlag von Oliver (pærıs)

Hier zunächst der Konsensvorschlag, damit das Ganze nicht allzu unübersichtlich wird:

- Das Kapital muss jederzeit versuchen, die Produktionskosten gering zu halten. Deshalb kann es systematisch nicht an teurerer resourcenschonender Technologie als Produktionsmittel interessiert sein. Selbst wenn die Führungsriege eines Unternehmens gern resourcenschonend produzieren möchte, ist sie doch auf kurz oder lang durch die Konkurrenz gezwungen, preiswertere, im Regelfall nicht-resourcen-schonende Technologien anzuwenden.

- Das staatliche Verbot von bestimmten (resourcen-zerstörenden) Technologien hat dem ebensowenig entgegenzusetzen wie die Subvention resourcen-schonender Technologien, denn die Nutzung solcher Technologien geht immer nur genau so weit wie der Wortlaut des Verbots oder der Subventionsbestimmung. Gleichzeitig bleibt das Kapital erfinderisch und muss überall, wo der Wortlaut es nicht verbietet, weiterhin Kosten optimieren.

- Genauso ist es mit Biosiegeln etc., die es erlauben, Produkte teurer zu verkaufen, die bestimmte Produktionsbedingungen erfüllen. Auch hier bleibt das Kapital erfinderisch und versucht überall dort weiterhin kosten zu optimieren, wo die Bio-Definitionen nicht greifen.
Insgesamt also ist mit Kapital und Staat keine gesamtgesellschaftliche resourcenschonende Produktion zu erreichen, weil der Zweck des Kapitals, die Akkumulation desselben prinzipiell im Widerspruch zu aller Resourcenschonung steht, die teurer ist als vergleichbare zerstörerische Technologien.

- Soll der Zweck einer resourcenschonenden Wirtschaft also wirklich werden, so bedarf es des revolutionären Bruchs und der Abschaffung des Kapitalzwecks.

- Dieser Bruch kann nicht nur in einem Land stattfinden, sondern muss global sein.

- Die Lösung ist nicht in der Konsumtion zu suchen, sondern in der Produktion.

Und hier die Dissense, zunächst als Fragen:

- Was ist der Grund dafür, dass natürliche Resourcen nicht zerstört werden sollen? Ein esoterisches Konzept von „im Einklang mit der Natur leben“, oder schlicht, dass Menschen auch in ferner Zukunft noch solche Resourcen zur Verfügung haben, und dass sich ihre „natürlichen“ Lebensbedingungen auch in der Zukunft erhalten.

- Zugespitzt: Ist der Zweck die Natur oder ein möglichst gutes Leben zukünftiger Menschengenerationen? Beides muss nicht immer übereinstimmen. Wer zum Beispiel für Natur eintritt, muss prinzipiell gegen Genmanipulation sein, wer dagegen für Menschen eintritt, mag gute Gründe haben, Genmanipulation unter bestimmten Bedingungen sinnvoll zu finden.
Was bedeutet ein „Gleichgewicht“ im Mensch-Natur-Verhältnis?

- Was ist überhaupt Natur? Alles, was wir heute essen ist durch Jahrhunderte der Zuchtwahl entstanden. Kühe sind keine Natur, Wälder nicht, heutige Getreidesorten ebenfalls nicht. Das alles sind Produkte menschlicher Praxis. Wie weit geht und was bedeutet also „Naturschutz“ und „Mensch-Natur-Verhältnis“?

- Was bedeutet es, dass das Verhältnis von Mensch und Natur „entfremdet“ ist? Bedeutet das, dass der Kapitalzweck alle Verhältnisse zur Natur wesentlich mitbestimmt (siehe Konsense), oder bedeutet es mehr?

4. Präzisierung des vermuteten Dissenses von Oliver (pærıs)

Nachdem nicht allen einsichtig werden konnte, warum ich nicht mehr Konsense sehe, habe ich dazu per mail geschrieben:

Vielleicht als Hinweis für Euch, was mein Hauptproblem ist:

Ihr schreibt, es bedürfe eines veränderten Mensch-Natur-Verhältnisses. Ich dagegen meine, es bedarf eines anderen Mensch-Mensch-Verhältnisses, denn der gegenwärtige Umgang mit Ressourcen ist langfristig nicht gut für _Menschen_. Das “Mensch-Natur-Verhätnis” bleibt auch mit einem veränderten Verhältnis von Menschen (und damit meine ich zuallererst die Abschaffung des Kapitals) das, was es jetzt auch ist: Die Natur ist ein Mittel zur Produktion von Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung von Menschen. Die Natur ist kein Selbstzweck. Das einzige, was sich ändern muss, ist dass bei jedem zweckmäßigen Eingriff auch die langfristigen Folgen einkalkuliert werden müssen.

Was Ihr dagegen mit dem Begriff “Mensch-Natur-Verhältnis” etabliert, ob Ihr es wollt oder nicht, ist die Vorstellung von Mensch und Natur als zwei Entitäten, von denen jede für sich zu achten wäre. Dieter macht das noch krasser, indem er vom “Gleichgewicht” zwischen Mensch und Natur redet. Und da bin ich raus. Ich kämpfe nicht für die Natur.

Das Resultat ist meiner Meinung nach, dass von dem, was Ihr schreibt, genau das übrig bleibt, was ich als Konsens deklariert habe. Der Rest ist tendenziös in die beschriebene Richtung, und das ist Dissens.

5. Gegenposition zu Oliver von Jürgen (SoKo)

Jürgen antwortete auf meinen Kommentar:

Erst einmal zeigt mir der Text von Oliver, dass ich ein völlig anderes Verständnisse der Mensch – Natur Problematik habe als er.
Wir haben einen doppelten Bruch zur Kenntnis zu nehmen.

1. Wir, die menschliche Gesellschaft, sind dabei unsere eigene Lebensgrundlage zu vernichten. Das ist der 1. Bruch den wir gerade vollziehen.

2. Der Widerstreit mit der Natur besteht solange, wie menschliche Gesellschaften naturwüchsig, also unbewusst ihren Stoffwechselprozess mit der Natur organisieren.

3. Die kapitalistische Gesellschaftsformation hat diesen Widerstreit auf die Spitze getrieben.

4. Dadurch sind wir gezwungen unseren Stoffwechselprozess mit der Natur neu (auf bewusster Grundlage) zu Gründen. Das ist der 2. Bruch den wir vollziehen müssen.

Was Oliver überhaupt nicht sieht ist, dass der Widerstreit (Widerspruch Mensch Natur) mit der Natur auch schon vor der kapitalistischen Gesellschaftsformation bestanden hat und darum auch nicht durch eine einfache “Abschaffung des Kapitals” gelöst werden kann. Neben dem dass ich ich nicht weis was Oliver unter “Abschaffung des Kapitals” überhaupt versteht, sehe ich mit Interesse doch eine Parallele zur Genterdiskussion, aber scheinbar mit umgekehrten Vorzeichen, hier auf uns zukommen. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage durch menschliche Gesellschaften ist älter als der Kapitalismus und wir auch dann nicht mit der Abschaffung des Kapitals überwunden, wenn die Menschen ihren Stoffwechselprozess mit der Natur neu Gründen.

In unseren Texten unterscheiden wir: Erste Natur, zweite Natur und die Natur des Menschen. Alle diese Beziehungen stehen in einem dialektischen (sich also beständig bewegenden) Verhältnis. Ich bitte das in besonderen Masse zu beachten Darum fasst Olivers Bezeichnung von Natur als Mittel zu Bedürfnisbefriedigung überhaupt nicht die Komplexheit des Mensch – Natur Verhältnis. Das wir nur Ressourcen langfristig erhalten sollen ist doch arg wenig. Es ist nicht nur damit getan zu problematisieren, was wir entnehmen sondern was wir auch an die Natur abgeben (ausscheiden). Es gibt also auch einen Stoffwechselprozess des Menschen zur Natur. Ja, ich würde sagen, dass Olivers Definition des Verhältnisses zu Natur und seine Verkürzung auf das Kapital uns geradewegs den Teppich unter den Füssen wegzieht.
Nach meiner Überzeugung ist der Widerspruch zwischen Natur und der Gattung Mensch ein Nebenwiderspruch, der aber, da nicht behandelt, zum alles überlagernden Widerspruch herranreift.
Auch denke ich weder in Gleichgewichten noch in Gleichzeitigkeiten.



Dieter Elken:
Zur Diskussion des Entwurfs für ein Essential „Ökologie“

„Im Einklang mit der Natur leben“ – ein esoterisches Konzept?
Letztendlich läßt sich alles mystifizieren, ob nun das Verhältnis von menschlicher Gesellschaft und außermenschlicher Natur oder zwischenmenschlicher Beziehungen. Aber zu den esoterischen Mystifizierungen rechnet ganz sicher nicht das Bemühen um die naturwissenschaftliche Erkenntnis der Zusammenhänge natürlicher und gesellschaftlicher Faktoren und ebensowenig das Bemühen um die Beachtung von Naturgesetzen und – wenn irgend möglich – den Erhalt der Regenerationsfähigkeit natürlicher Kreisläufe – einschließlich der Regenerationsfähigkeit der menschlichen Gesellschaft.
Selbstverständlich, aber keineswegs der Mehrheit der Menschheit bewußt, ist jede menschliche Produktion immer Eingriff in die Natur, Veränderung und somit Gestaltung der außermenschlichen Natur wie der Menschheit selbst. Diese Eingriffe verteilen Ressourcen nur um, sie verschwinden nicht, aber sie verändern drastisch die Bedingungen künftiger Produktion und Konsumtion. Verantwortungsbewußter Umgang mit den natürlichen Ressourcen hat nichts mit Esoterik zu tun. Eingriffe in die Natur ohne Rücksicht auf deren Folgen und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse künftiger Generationen – das findet im Kapitalismus als Normalfall statt.
Aus materialistischer Sicht und ganz ohne Mystik und esoterische Verklärung gibt es daher keinen Anlaß, Formulierungen wie „im Einklang mit der Natur“ aufzugeben. Nur eine explizit sozialistische und materialistische Politik kann diese Zielsetzung Wirklichkeit werden lassen. Klar, ein esosterisches Konzept ökologischer Politik kann die v.g. Formel in eine anti-industrialistische, romantische Vorstellung einer vorwissenschaftlichen Idylle verwandeln – so wie es bei manchen Grünen der Fall war und wohl noch ist. Die wirkliche Frage lautet aber, was die am naO-Prozeß beteiligten Gruppen vertreten.

Hat die Natur irgendeinen Zweck?
Der zweite von Oliver genannte Dissens ist selbst als Alternative formuliert unakzeptabel: Die Natur hat keinen außer ihr selbst liegenden, besonderen Zweck, auch keinen Selbstzweck. Auch ein „gutes Leben“ künftiger Menschengenerationen ist kein solcher Zweck sondern allenfalls ein mit dem Kapitalismus in Konflikt stehendes Ziel, aber weder eines , das irgendeine herrschende Klasse der Gegenwart motiviert noch eines, das gegen die außermenschliche Natur verwirklicht werden kann. So abstrakt formuliert wie von Oliver ist es politisch nichtssagend.
Daß sich Oliver in der Ökologiedebatte sowohl gegen die Benennung zweier „Entitäten“, nämlich der menschlichen Gesellschaft und der außermenschlichen Natur wie auch gegen die besondere Betrachtung des Verhältnisses dieser Entitäten wendet, halte ich für weltfremd. Wie kann jemand ignorieren, daß die menschliche Gesellschaft als Teil der Natur in dieser eine besondere Stellung einnimmt? Keine andere biologische Art hat die restliche Natur so geprägt und umgeformt wie die Menschheit, keine andere Art hat ihre eigene Entwicklung so weit nach eigenen, sozialen Gesetzmäßigkeiten gestaltet. Dies zu ignorieren ist nicht sehr originell. Leben wir auf dem demselben Planeten?

Entfremdung zum ersten
Weil Oliver diesen Austauschprozeß nicht in seiner Komplexität erfaßt, unterstellt er dem Marxismus, folgendes: „Dass Menschen die naturzerstörenden Verhältnisse, die sie selbst hervorgebracht haben, nicht als gesellschaftliche Verhältnisse begreifen, hieße mit Marx erst einmal, dass es einen Fetischcharakter der Natur gebe, nicht Entfremdung. Selbst das würde ich anzweifeln: Dass das gegenwärtige Problem mit der Natur durchaus als gesellschaftliches erkannt wird, erklärt ja den großen Aufstieg der Grünen. Wie dem aber auch sei, ob Fetischcharakter oder nicht, um Entfremdung handelt es sich hier sicher nicht: Entfremdung hieße doch, dass etwas, das das Produkt von Menschen ist, ihnen als ein Fremdes, Äußerliches entgegentritt.“
Das trifft in keiner Hinsicht zu. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die die außermenschliche Natur zerstören, sind nicht identisch mit dem Austauschprozeß der menschlichen Gesellschaft mit der außermenschlichen Natur. Auch im Kapitalismus sind daher Produktionsverhältnisse nicht identisch mit dem stofflichen Prozeß der Produktion und der Konsumtion. Es gibt einen Fetischcharakter der Ware, aber nicht der Natur. Oliver entgeht, daß der Warenfetisch nur ein Spezialfall der Entfremdung ist.
Die reale Mystifizierung der Natur ist dementsprechend das Resultat nicht der Projektion gesellschaftlicher Verhältnisse auf die außermenschliche Natur, sondern des mangelnden Verständnisses natürlicher Entwicklungsprozesse. Ebenso wie das mangelnde Verständnis gesellschaftlicher Verhältnisse die Grundlage biologistischer Erklärungsversuche für gesellschaftliche Verhältnisse ist. Was schließlich die Behauptung soll, daß „das gegenwärtige Problem mit der Natur durchaus als gesellschaftliches erkannt wird“, woraus sich der Aufstieg der Grünen erkläre, erschließt sich auch wohlwollenden Lesern nicht. Daß die menschliche Gesellschaft in die Natur eingreift, ist so vordergründig schlicht, daß es keiner tiefschürfenden Erkenntnis oder Analyse bedarf. Die jetzt erreichte Qualität der Umweltvernichtung aber ist bedingt durch die kapitalistische Formbestimmtheit des Austauschprozesses zwischen menschlicher Gesellschaft und außermenschlicher Natur. Die Grünen belegen mit ihrem Unverständnis für diese wirklichen gesellschaftlichen Ursachen der immer größer werdenden Umweltzerstörungen und ihren hilflosen umweltpolitischen Rezepten (letztlich nur Appelle an das Gutmenschentum der herrschenden Klasse), daß sie die gesellschaftlichen Triebkräfte der fortschreitenden Umweltkrisen nicht verstanden haben. Sie predigen ausschließlich profitorientierten Kapitalverbänden Bescheidenheit und Zurückhaltung und geben ansonsten mit Bio-Zertifikaten in Supermärkten zufrieden. Damit bewegen sich die Grünen auf niedrigerem Niveau als die Wandervogelbewegung und die Jugendstilbewegung vor über 100 Jahren mit ihrem naturalistischen Protest gegen die Gleichförmigkeit und Naturfeindlichkeit des früheren Industrialismus.

Zu Genmanipulationen
Es mag sein, daß Genmanipulationen „unter bestimmten Bedingungen“ sinnvoll sein können. Die am naO-Prozeß teilnehmenden Gruppen und Individuen müssen aber die Frage beantworten, ob sie heute, unter spätkapitalistischen Bedingungen, die Entwicklung von Gentechnologien unter dem Primat des Kapitalverwertungsinteresses befürworten wollen. Von der gesellschaftlichen Realität abstrahierende „Was-wäre-wenn“-Diskussionen bringen uns nicht weiter.

Entfremdung von der Natur zum zweiten
Das Verhältnis der Menschheit zur Natur ist bis jetzt schon immer entfremdet gewesen, beginnend mit der weitgehenden Unkenntnis naturgesetzlicher Zusammenhänge, der Mystifizierung und Vergötterung von Naturerscheinungen. Die Entwicklung der Naturwissenschaften hat die Formen der Entfremdung tiefgreifend verändert, aber sie nicht aufgehoben.
Ich nenne eine Gesellschaft, die die außermenschliche Natur im Namen des Privateigentums und ohne umfassende Kenntnis der Folgen von Eingriffen in diese Natur zum Gegenstand des privaten Verbrauchs macht – zunächst im Bereich der gesellschaftlichen Produktion, aber auch im Bereich der Konsumtion- ebenfalls entfremdet von der Natur.
Natur verstehe ich dabei umfassend: Die menschliche Gesellschaft ist Teil der Natur. Sie entwickelt sich zwar wesentlich nach eigenen, sozialen Gesetzmäßigkeiten, bleibt aber abhängig von der Naturentwicklung insgesamt.
Im Kapitalismus hat die scheinbare Beherrschung der außermenschlichen Natur durch die menschliche Gesellschaft das Verhältnis zu außermenschlichen Natur insgesamt nicht entscheidend verbessert. Ohne ausreichende Kenntnis natürlicher Zusammenhänge und Wechselwirkungen wird im Kapitalismus in immer größerem Maßstab in Naturkreisläufe eingegriffen. Die Folgen dieser Eingriffe werden kaum oder gar nichtberücksichtigt. Auch nicht die Folgen für große Teile der Menschheit (z.B. Klimaveränderungen). Die Menschheit handelt dabei gesellschaftlich, aber ihre Teile sind sich dessen nicht bzw. nicht ausreichend bewußt. Sie kontrollieren weder die Entwicklung der Gesellschaft noch sind sie in der Lage, den Austauschprozeß zwischen menschlicher Gesellschaft und der außermenschlichen Natur (=gesellschaftliche Produktion und Konsum) insgesamt zu kontrollieren. Dieses wechselseitige Verhältnis wird verdrängt, mystifiziert und banalisiert. Kurz: Die Menschheit ist insgesamt der Natur entfremdet. Entfremdung meint also weit mehr als nur Veränderung der Natur nach den Bedürfnissen des Kapitals. Ich halte daher den Begriff der Entfremdung für unverzichtbar.

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